Entscheidungsstichwort (Thema)

Soziales Entschädigungsrecht. Gewaltopfer. posttraumatisches Belastungssyndrom. Heilbehandlung. Hilfsmittelversorgung. anderes Hilfsmittel. kein Anspruch auf einen Assistenzhund. Leistung zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft. Eingliederungshilfe

 

Orientierungssatz

1. Erhält ein Gewaltopfer eine Versorgung nach den §§ 10 ff BVG, hat es damit keinen Anspruch auf einen sog Assistenzhund, da dieser keinem der in § 33 SGB 5 genannten Versorgungsziele dient.

2. Insoweit kommen dem Grunde nach Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft in Form der Eingliederungshilfe nach § 1 OEG iVm § 27d Abs 1 Nr 3 BVG in Betracht. Diese werden aber nach § 25 Abs 4 S 1 BVG nur dann gewährt, wenn der Bedarf nicht aus dem eigenen Einkommen und Vermögen gedeckt werden kann, wobei insbesondere § 27d Abs 3 BVG durch den Verweis auf § 92 Abs 2 SGB 12 bestimmtes Vermögen nicht erfasst wird.

3. Die UN-Behindertenrechtskonvention (juris: UNBehRÜbk) verlangt nicht, Versicherten ungeprüften Risiken und Nutzen auszusetzen.

 

Tenor

1. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 29.09.2015 - S 4 VG 21/14 - aufgehoben und die Klage abgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Verpflichtung des Beklagten, der Klägerin die für den Erwerb eines Assistenzhundes entstandenen Kosten zu erstatten.

Die 1969 geborene Klägerin wurde als Jugendliche Opfer sexueller Angriffe. Als Schädigungsfolge nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (Opferentschädigungsgesetz - OEG) mit einem Grad der Schädigungsfolge (GdS) von 40 ist eine “sonstige Reaktion auf schwere Belastung in Form psychoreaktiver Störung„ anerkannt (Bescheid vom 02.05.2011). Ein Verfahren auf Anerkennung einer Herzkrankheit als Schädigungsfolge ist derzeit bei dem Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz unter dem Az L 4 VG 17/15 anhängig.

Durch die sie behandelnde Fachärztin für Anästhesie - Psychotherapie - Dr. B stellte die Klägerin im Juli 2013 einen Antrag bei der Techniker Krankenkasse auf Versorgung mit einem Assistenzhund. Die Klägerin leide an einer PTSD (posttraumatic stress disorder = posttraumatische Belastungsstörung (PTBS)). Ein eigens für posttraumatische Störungen sensibilisierter Assistenzhund vermöge dissoziative Momente zu durchbrechen, das emotionale Befinden zu stabilisieren und die Verankerung in der Gegenwart zu fördern. Als emotionaler Schutz und Sicherheit im Alltag könne dieser dazu beitragen, den ausgeprägten sozialen Rückzugstendenzen entgegenzuwirken. Zudem leide die Klägerin an einer ausgeprägten koronaren Herzerkrankung und Herzrhythmusstörungen. Auch aufgrund der hieraus resultierenden kardialen Gefährdungssituation sei der Assistenzhund erforderlich. Dieser könne im Bedarfsfall rasch und gezielt Hilfe herbeiholen. Dies nehme der Klägerin auch die Angst, sich im Freien zu bewegen, was aber für das kardiale Training unabdingbar sei. Der Assistenzhund sei daher zur Reduktion der psychischen Folgeschäden ebenso wie zur Ermöglichung der Teilhabe am sozialen Leben dringend erforderlich.

Am 28.01.2014 schloss die Klägerin einen Kaufvertrag über einen Flatdoodle zu einem Preis von 2.100,84 € netto. Gemäß Ziffer 5 des Kaufvertrages wurde vereinbart, eine weitere Spezialausbildung des Hundes für mindestens sechs Wochen zu einem Preis von 1.000,00 € zuzüglich Mehrwertsteuer in Höhe von 190,00 € stationär durchzuführen.

Den Antrag wurde an den Beklagten weitergeleitet, dessen Hauptfürsorgestelle mit Bescheid vom 24.02.2014 den Antrag auf Übernahme der Kosten für den Assistenzhund ablehnte. Die hiergegen vor dem Verwaltungsgericht Bayreuth erhobene Klage wurde für erledigt erklärt, nachdem der Beklagte darauf hingewiesen hatte, dass ein Antrag bei der Orthopädischen Versorgungsstelle gestellt werden müsse, wenn die Klägerin die Übernahme der Kosten für den Assistenzhund im Rahmen ihres Heil- und Krankenbehandlungsanspruchs begehre und die Klageschrift als entsprechender Antrag gewertet wurde.

Mit Bescheid vom 20.05.2014 lehnte die Orthopädische Versorgungsstelle den Antrag auf “Übernahme der Kosten„ für den Assistenzhund ab. Es liege keine spezielle Bedarfssituation zur Absicherung einer angemessenen Lebensführung, wie etwa im Falle eines blinden Menschen mit Bedarf an einem Blindenhund, vor. Die Klägerin sei aufgrund ihrer anerkannten Schädigungsfolgen nicht auf die bloße Anwesenheit eines Assistenzhundes angewiesen; eine angemessene Lebensführung sei auch ohne einen solchen Hund möglich. Soweit die Ärztin Dr. B eine Herzrhythmusstörung angegeben habe, sei zu bemerken, dass diese in keinem ursächlichen Zusammenhang mit der anerkannten Schädigungsfolge stehe.

Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies das Landesversorgungsamt mit Widerspruchsbescheid vom 01.09.2014 zurück. Gemäß § 13 Abs 1 des Gesetzes über die Versorgung der Opfer des Krieges (Bundesversorgungsgeset...

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