Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosengeld II. Unterkunft und Heizung. Erfordernis der Zusicherung zum Umzug eines unter 25-Jährigen durch den kommunalen Träger. treuwidrige Verzögerung. Unzumutbarkeit der Verweisung auf die Wohnung der Eltern. schwerwiegende soziale Gründe. ähnlich schwerwiegende Gründe. Zusammenziehen mit der Freundin. Regelbedarf nach § 20 Abs 3 SGB 2. Verfassungsmäßigkeit

 

Orientierungssatz

1. Anders als in den Fällen des § 22 Abs 4 SGB 2 ist die Zusicherung nach § 22 Abs 5 SGB 2 materielle Voraussetzung für einen Anspruch des unter 25-Jährigen auf Leistungen für Unterkunft und Heizung.

2. Eine vorherige Zusicherung ist nur dann nicht erforderlich, wenn eine fristgerecht mögliche Entscheidung durch den Leistungsträger treuwidrig verzögert worden ist (vgl BSG vom 6.5.2010 - B 14 AS 7/09 R = BSGE 106, 135 = SozR 4-4200 § 22 Nr 37).

3. Schwerwiegende soziale Gründe, die einen Verweis auf die Wohnung der Eltern oder eines Elternteils unmöglich machen, liegen vor, wenn es sich um eine dauerhaft gestörte Beziehung zwischen dem Betroffenen und den Eltern bzw dem Elternteil handelt oder wenn das körperliche, geistige oder seelische Wohl durch die Eltern oder deren Umfeld gefährdet ist.

4. Als ähnlich schwerwiegender Grund iS des § 22 Abs 5 S 2 Nr 3 SGB 2 kann ein Auszug aus der Wohnung der Eltern wegen einer bevorstehenden Eheschließung oder zur Begründung einer Lebenspartnerschaft anzusehen sein. Allein der Wunsch, mit der Freundin zusammenzuziehen, ist hingegen noch kein schwerwiegender Grund (vgl LSG Halle vom 19.9.2012 - L 5 AS 613/12 B ER).

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 25.04.2018; Aktenzeichen B 14 AS 21/17 R)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 12.12.2014 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger für die Zeit vom 01.08.2013 bis zum 31.01.2014 höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zustehen.

Der 1990 geborene Kläger lebte bis zum Sommer 2013 im Haushalt seiner Mutter in I und bezog bis zum 31.07.2013 als Mitglied einer Bedarfsgemeinschaft, der u.a. seine Mutter und seine Geschwister angehörten, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II vom Jobcenter Landkreis M. Dabei wurde zugunsten des Klägers neben dem Regelbedarf zuletzt ein monatlicher Bedarf für Unterkunft und Heizung iHv 126,73 EUR berücksichtigt. Das Jobcenter Landkreis M wies den Kläger zur Verbesserung seiner Eingliederungschancen einer Maßnahme in der Nähe von Hamburg zu. Er sollte dort internatsmäßig untergebracht werden. Am 01.08.2013 zog der Kläger zu seiner Freundin B, die er 2008 kennengelernt hatte. Frau B wohnte seit ihrem Auszug aus dem elterlichen Haushalt bei den Eheleuten U und E L in deren Wohnung im Haus T-weg 00 in H. Für die Wohnung war ein monatlicher Mietzins iHv 510,36 EUR (Grundmiete 319,36, Heizkosten 97,00 EUR und Betriebskosten 94,00 EUR) zu entrichten. Eine vorherige Zusicherung des Leistungsträgers iSd § 22 Abs. 5 Satz 1 SGB II holte der Kläger nicht ein. Frau B bezieht ebenso wie die Eheleute L Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vom Beklagten. Nach dem Einzug des Klägers reduzierte der Beklagte deren Leistungen für Unterkunft und Heizung auf monatlich 255,18 EUR (½ der monatlichen Gesamtkosten). Der Kopfanteil von Frau B wird vom Beklagten bei der Leistungsbewilligung zu ihren Gunsten nicht berücksichtigt. Die entsprechenden Bescheide sind angefochten.

Am 01.08.2013 beantragte der Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts beim Beklagten. Mit Bescheid vom 12.08.2013 bewilligte der Beklagte dem Kläger Leistungen für die Zeit vom 01.08.2013 bis zum 31.01.2014 iHv 306,00 EUR monatlich. Dabei berücksichtigte er keine Kosten für Unterkunft und Heizung.

Mit dem am 23.08.2013 eingelegten Widerspruch machte der Kläger die anteiligen Kosten für Unterkunft und Heizung und einen erhöhten Regelbedarf geltend. Mit Widerspruchsbescheid vom 04.09.2013 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Der Kläger sei ohne Zustimmung des kommunalen Trägers von I nach H verzogen. Gemäß § 22 Abs. 5 SGB II könnten daher Kosten der Unterkunft und Heizung nicht berücksichtigt werden. Gemäß § 20 Abs. 3 SGB II betrage der monatliche Regelbedarf des Klägers 306,00 EUR.

Am 25.09.2013 hat der Kläger bei dem Sozialgericht Gelsenkirchen Klage erhoben. § 22 Abs. 5 SGB II sei vorliegend nicht anwendbar. Die Vorschrift sei zumindest verfassungskonform einzuschränken, wenn ein Leistungsberechtigter vor Vollendung des 25. Lebensjahres ohne Zustimmung überörtlich umziehe und durch den Umzug keine zusätzlichen Kosten entstünden. Dies sei hier der Fall. Die anteiligen Kosten der Unterkunft und Heizung des Klägers würden bei den Eheleuten L eingespart.

Der Kläger hat schriftsätzlich beantragt,

den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 12.08.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.09.2013 zu verurteilen, ihm höhere Leis...

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