Entscheidungsstichwort (Thema)

Soziales Entschädigungsrecht. Kriegsopferversorgung. Berufsschadensausgleich. schädigungsbedingter Einkommensverlust. Wahrscheinlichkeit der Realisierung des Hätte-Berufs. Berücksichtigung besonderer Anstrengungen beim besonderen beruflichen Betroffensein. kein Renten-BSA für Selbstständige

 

Orientierungssatz

1. Ein Berufsschadensausgleich (BSA) ist ausgeschlossen, wenn kein schädigungsbedingter Einkommensverlust im konkret ausgeübten Beruf eingetreten ist und auch nicht wahrscheinlich ist, dass der Betroffene ohne die Schädigungsfolgen einen anderen Beruf erlernt hätte und darin erfolgreicher gewesen wäre.

2. Der Senat kann deshalb die Frage dahinstehen lassen, ob § 30 Abs 3 BVG eine allgemeine Kausalitätsprüfung erfordert oder ob der schädigungsbedingte Einkommensverlust sich - jedenfalls bei bestimmten Fallgruppen - aus § 30 Abs 4 BVG ergibt.

3. Sind besondere Anstrengungen des Beschädigten, die dieser aufgrund der Schädigungsfolgen bei der Erzielung seines Einkommen leisten muss (hier: Kundenkontakt trotz nachteiliger Entstellung, Außentätigkeit trotz erhöhter Infektanfälligkeit), bereits mit der Bejahung des besonderen beruflichen Betroffenseins anerkannt worden, kann mit ihnen nicht zugleich ein schädigungsbedingter Einkommensverlust begründet werden (vgl BSG vom 23.11.1977 - 9 RV 12/77 = BSGE 45, 161 = SozR 3100 § 30 Nr 31).

4. Ein Renten-BSA nach § 30 Abs 4 S 3 BVG kommt für Selbstständige nicht zur Anwendung.

5. Eine hypothetische Realisierung des geltend gemachten "Hätte-Berufs" (hier Architekt) darf unter Berücksichtigung des familiären Hintergrundes, des Bildungsstands und der ersten Berufserfahrungen keinesfalls unwahrscheinlich sein.

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 29.11.2016 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über Berufsschadensausgleich (BSA) nach § 30 Abs. 3 ff. des Bundesversorgungsgesetzes (BVG).

Der Kläger wurde am 00.00.1928 geboren. Sein Vater war gelernter Schreiner und als Hilfsarbeiter tätig. Der Kläger absolvierte die Volksschule und anschließend bis zur sechsten Klasse (Jahrgang 1944/1945) die Mittelschule. Von 1941 bis 1943 war er neben der Schule als Aushilfe in einer Bäckerei tätig. Vom 07.02.1944 an wurde er als Luftwaffenhelfer eingesetzt. Im März 1945 erhielt er ein Abschlusszeugnis. Am 09.04.1945 erlitt er eine Granatsplitterverletzung unterhalb des linken Auges. Bei einer anschließenden Operation des Kiefers wurden zwei Granatsplitter entfernt. Infolge der Röntgenbestrahlung während der Operation kam es an der rechten Wange zu einem Röntgenerythem und einer handtellergroßen Verbrennungswunde. Bis Ende August 1945 befand er sich in Kriegsgefangenschaft.

Im September 1945 begann der Kläger ein Praktikum als Maurer. Von Anfang 1946 bis Ende 1948 war er als "Volontär" im kaufmännischen Bereich der Deutschen Schrottgemeinschaft tätig, die in ihrem Abschlusszeugnis diese Zeit als Ersatz für eine kaufmännische Lehre ansah. Ab 1949 war der Kläger im Schrotthandel als kaufmännischer Angestellter tätig, ab 1953 als Vertreter. Ab Ende 1954 betrieb der Kläger eine eigene Firma, deren Gegenstand die Verwertung von Nutzeisen war. Seit Oktober 1993 bezieht er eine Altersrente der Deutschen Rentenversicherung Bund i.H.v. anfänglich 1.348,20 DM. Der Versicherungsverlauf weist bis August 1945 militärischen Dienst, von Januar 1946 bis August 1952 Pflichtbeiträge, ab 1956 freiwillige Beiträge (davon für 1956-1961 nachgezahlte Beiträge) und von Oktober 1992 bis Februar 1993 Pflichtbeiträge aufgrund Krankheit aus.

1974/1975 wurde der Kläger am rechten Auge operiert. Ab 1981 erfolgten mehrere Operationen der rechten Wange einschließlich Hauttransplantationen sowie Narbenkorrekturen im Bereich des Halses.

Am 13.08.1981 beantragte der Kläger beim damaligen Versorgungsamt E Beschädigtenversorgung. Er gab an, vor der Schädigung Schüler gewesen zu sein und den Beruf des flugtechnischen Ingenieurs angestrebt zu haben. Das Versorgungsamt stellte mit Bescheid vom 08.06.1982 zunächst eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE, mittlerweile Grad der Schädigungsfolgen - GdS) um 30 v.H. fest. Weitere Versorgungsleistungen stünden nicht zu.

In einem anschließenden sozialgerichtlichen Klage- und Berufungsverfahren (S 30 V 327/85 = L 10 V 78/90) trug der Kläger vor, er habe eigentlich auf das Gymnasium gehen sollen, was aber an den fehlenden finanziellen Mitteln der Eltern gescheitert sei. Zunächst habe er Fliegertechniker werden wollen. Da dies nach dem Krieg nicht mehr möglich gewesen sei und angesichts der Zerstörungen des Krieges habe er dann Architekt werden wollen. Vorstellungen bei diversen Baufirmen seien an seinen Kriegsverletzungen gescheitert. Er habe dann doch bei einer Baufirma ein Praktikum begonnen, sei dort aber an einer Lungenentzündung erkrankt. Zwischenzeitlich sei diese Firma in Konkurs gegangen...

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