Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. bedarfsorientierte Grundsicherung. Vermögenseinsatz. angespartes Blindengeld. Verfassungsmäßigkeit

 

Orientierungssatz

1. Der Einsatz von aus Blindengeld angespartem Vermögen stellt keine Härte iS von § 88 Abs 3 S 1 BSHG bzw § 90 Abs 3 S 1 SGB 12 dar.

2. Auch Giro- und Sparguthaben sind wie Barbeträge nach § 88 Abs 2 Nr 8 BSHG bzw § 90 Abs 2 Nr 9 SGB 12 zu behandeln.

3. Der Grundsatz, dass Vermögen ungeachtet seines Herkommens bei der Bedarfsermittlung berücksichtigt werden muss, hat zwar die Konsequenz, dass ein blinder, nicht sozialhilferechtlich abhängiger Mensch über das von ihm angesparte Blindengeld frei und anders verfügen kann als ein Sozialhilfeempfänger; dies unterliegt aber keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 11.12.2007; Aktenzeichen B 8/9b SO 20/06 R)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 12.07.2005 geändert. Die Klage wird abgewiesen. Der Kläger trägt seine außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen selbst. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger die für die Zeit vom 01.04.2004 bis 31.01.2005 darlehensweise gewährte Hilfe zum Lebensunterhalt als Zuschuss ohne Anrechnung von durch Blindengeld angespartem Vermögen zu belassen ist.

Der 1973 geborene Kläger, der dauerhaft erwerbsgemindert ist, leidet an Multipler Sklerose und damit einhergehend an einer ausgeprägten Sehstörung. Er ist als Schwerbehinderter anerkannt mit einem Grad der Behinderung von 100 (Merkzeichen: B, G, H, RF). Er erhält seit dem 01.06.2002 ein monatliches Blindengeld nach dem nordrhein-westfälischen Gesetz über Hilfe für Blinde und Gehörlose (GHBG). Es beträgt seit dem 01.07.2003 monatlich 585,- Euro. Für die Zeit vom 01.06.2002 bis 31.03.2004 erhielt der Kläger Blindengeld in Höhe eines Gesamtbetrages von 12.780,- Euro. Von dem Blindengeld, das laufend auf sein Girokonto überwiesen wurde, legte der Kläger von Januar 2003 bis Juli 2004 monatlich 200,- Euro in einem Fond (G U Investment Fonds) an; weitere Beträge zahlte er auf ein Sparbuch bei der C Kreditbank ein. Bis 31.03.2004 bezog der Kläger Sozialhilfe von der Stadt C ohne Anrechnung des dort bekannten, durch Blindengeld angesparten Vermögens. Als er nach E zog, beantragte er am 03.09.2004 bei der Beklagten Hilfe zum Lebensunterhalt. Zu diesem Zeitpunkt betrug das Guthaben auf dem Sparbuch 5.433,38 Euro, aus den Fondanteilen 3.478,65 Euro, insgesamt 8.912,03 Euro. Nachdem die Beklagte für den Zeitraum von April bis Juni 2004 Leistungen unter dem Vorbehalt der Rückforderung bis zum Abschluss der Prüfung über den Einsatz des Vermögens gezahlt hatte (Bescheide vom 16.04. und 04.05.2004), lehnte sie durch Bescheid vom 27.07.2004 die beantragte Hilfe zum Lebensunterhalt mit der Begründung ab, der Kläger verfüge über Vermögen i.H.v. 7.633,03 Euro (8.912,03 Euro abzüglich eines Freibetrages i.H.v. 1.279,00 Euro), das er zur Deckung seines Bedarfs zum täglichen Leben vorrangig einzusetzen habe. Das aus der "Blindenrente" angesparte Vermögen sei nicht geschützt. Zugleich forderte die Beklagte aus diesem Bescheid die Rückzahlung der für die Monate April bis Juli 2004 erbrachten Leistungen i.H.v. 2.802,16 Euro.

Dagegen erhob der Kläger am 13.08.2004 Widerspruch. Am 20.08.2004 beantragte er beim Verwaltungsgericht Aachen (Az.: 1 L 769/04) den Erlass einer einstweiligen Anordnung auf Gewährung vorläufiger laufender Hilfe zum Lebensunterhalt. Durch Beschluss vom 05.10.2004 schlug das Verwaltungsgericht Aachen den Beteiligten den Abschluss eines Vergleiches vor: "1.Der Antragsgegner gewährt dem Antragsteller für die Zeit ab 20.08.2004 zunächst bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides über den Widerspruch des Antragstellers gegen den Bescheid des Antraggegners vom 27.07.2004 solange regelmäßige Hilfe zum Lebensunterhalt als Darlehen gem. § 89 BSHG, wie das vom Antragsgegner zugrundegelegte verwertbare Vermögen des Antragstellers i.H.v. 7.633,03 Euro noch nicht verbraucht ist. Sollte der Widerspruch ohne Erfolg bleiben und der Kläger hiergegen klagen, verlängert sich die Praxis der darlehensweisen Hilfegewährung bis zum Verbrauch des Vermögens bzw. bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren. 2. Der Antragsgegner verzichtet bis zur Entscheidung über den Widerspruch bzw. der Klageerhebung bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über die Klage auf die Rückforderung bisher gezahlter Sozialhilfeleistungen. 3. Zur Sicherung des Rückforderungsanspruchs tritt der Antragsteller seine Ansprüche aus dem Sparguthaben und dem Fondguthaben bis zu einer Höhe von 7.633,03 Euro an den Antragsgegner ab. Der Antragsgegner erklärt, dass er unter sozialhilferechtlichen Gesichtspunkten eine Freigabe von Forderungen aus diesem Vermögen prüfen wird, wenn der Antragsteller darlegt und belegt, dass er Teile seines Sparvermögens für Anschaffungen benötigt, die unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck des ihm gewährten Lande...

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