Entscheidungsstichwort (Thema)

Berechnung der Ausgleichsabgabe für ein Zeitarbeitsunternehmen bei Nichteinhaltung der Pflichtzahl von beschäftigten schwerbehinderten Menschen

 

Orientierungssatz

1. Zur Ermittlung der Anzahl der Pflichtarbeitsplätze für schwerbehinderte Menschen bei einem Arbeitgeber trifft bei nicht fristgemäßer Anzeige des Arbeitgebers die Agentur für Arbeit die für die Berechnung der Abgabe erforderlichen Feststellungen, die das Integrationsamt seinem Bescheid zur Beitreibung der Abgabe ohne eigene Prüfung zugrunde zu legen hat.

2. Arbeitgeber mit mindestens 20 Arbeitsplätzen sind verpflichtet, wenigstens auf 5 % dieser Arbeitsplätze schwerbehinderte Menschen zu beschäftigen. Zur Ausgleichsabgabe wird der Arbeitgeber herangezogen, der die erforderliche Pflichtzahl von schwerbehinderten Menschen nicht beschäftigt.

3. Bei gewerbsmäßiger Arbeitnehmerüberlassung sind bei der Ermittlung der Arbeitsplätze auch die Leiharbeitnehmer zu berücksichtigen, die bei ausländischen Entleihern eingesetzt sind.

4. Die Beschäftigungspflicht und die daran anknüpfende Ausgleichsabgabe sind verfassungsgemäß und mit Gemeinschaftsrecht vereinbar.

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 16.04.2009 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 1.260,00 Euro festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Anzahl der bei der Klägerin vorhandenen Pflichtarbeitsplätze für schwerbehinderte Menschen.

Die Klägerin ist ein Zeitarbeitsunternehmen mit Sitz in L, sie verfügt über eine Erlaubnis nach § 1 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG). Nach dem vorgelegten Mitarbeitervertrag sind die Mitarbeiter zur Arbeitsleistung in der Bundesrepublik, den Niederlanden und in Belgien verpflichtet. Nach Darstellung der Klägerin verleiht sie die Mitarbeiter schwerpunktmäßig an Arbeitgeber in den Niederlanden. Auf die Beschäftigungsverhältnisse findet deutsches Arbeitsrecht Anwendung.

Am 12.06.2008 übersandte die Klägerin die Anzeige nach § 80 Abs. 2 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) für das Jahr 2007. In einem beigefügten Schreiben wies sie darauf hin, bei ihr bestehe die Besonderheit, dass sie Arbeitnehmer an Entleiher in den Niederlanden entleihe und diese dort "im Wesentlichen" auch in den Niederlanden beschäftigt würden. Nach ihrer Auffassung müssten diese Arbeitnehmer bei der Berechnung der Ausgleichsabgabe unberücksichtigt bleiben. Eine Einbeziehung in die Berechnung der Abgabe bedeute ein Verstoß gegen die grundgesetzlich geschützte Berufsfreiheit und gegen die Dienstleistungsfreiheit nach europäischem Recht. Soweit das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) anders lautend entschieden habe, habe diese Entscheidung einen nicht vergleichbaren Sachverhalt betroffen. Das BVerwG habe darauf abgestellt, dass jeder Arbeitgeber objektiv die Möglichkeit habe, Schwerbehinderte in Beruf und Arbeit einzugliedern. Diese Möglichkeit habe sie nicht, da sie nicht gewährleisten könne, dass die Schutzvorschriften des deutschen Schwerbehindertengesetzes von niederländischen Entleihern eingehalten würden. Der niederländische Entleiher beachte nicht die zugunsten der Leiharbeitnehmer geltenden Schutzvorschriften des SGB IX, sondern die niederländischen Schutzvorschriften für Behinderte. Daher stelle sich die Frage, ob sie überhaupt einen behinderten Leiharbeitnehmer bei einem Entleiher im Ausland einsetzen könne; insoweit bestehe ein rechtliches Hindernis, schwerbehinderte Arbeitnehmer an Entleiher in den Niederlanden zu verleihen. Sie habe daher in die Anzeigen nur die Arbeitnehmer aufgenommen, die sie selbst in der Bundesrepublik beschäftige bzw. an Entleiher in der Bundesrepublik verleihe. In der insoweit beigefügten Anzeige werden für das Jahr 2007 84 Arbeitsplätze genannt (jahresdurchschnittlich sieben). Vorsorglich wurde aber auch noch eine Anzeige für die gesamte Zahl der Beschäftigten beigefügt; danach waren im Jahre 2007 insgesamt 700 Personen beschäftigt (jahresdurchschnittlich 58,33). Schwerbehinderte Menschen wurden nicht beschäftigt.

Mit Bescheiden vom 17.06.2008 stellte die Beklagte für die Kalenderjahre 2006 und 2007 gemäß § 80 Abs. 3 SGB IX die für die Berechnung der Beschäftigungspflicht und Ausgleichsabgabe erforderlichen Daten fest. Hinsichtlich des in diesem Verfahren streitgegenständlichen Kalenderjahres 2006 stellte sie eine jahresdurchschnittliche Arbeitsplatzzahl von 38 (Jahressumme 456) fest; die Zahl der Pflichtarbeitsplätze mit zwölf und die Beschäftigungsquote (da keine schwerbehinderte Menschen beschäftigt worden waren) mit Null. Die Höhe der Ausgleichsabgabe wurden mit 12 x 105,00 EUR = 1.260,00 EUR ermittelt. Zur Begründung führte sie aus, die Feststellung erfolge auf der Grundlage der vorliegenden Betriebsdaten. Bei Arbeitnehmerüberlassung sei der Verleiher Arbeitgeber des Leiharbeitnehmers, so dass die Arbeitsplätze beim Verleiher zu zählen seien. Als Arbeitsplätze gälten auch die Stellen bzw. Ar...

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