Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Entschädigungsklage wegen überlanger Verfahrensdauer. Grundsicherungsempfänger. Aktivlegitimation. kein Anspruchsübergang auf den Grundsicherungsträger bis zur rechtskräftigen Zuerkennung der Entschädigung. konventionskonforme Auslegung. Zurücktreten von § 33 Abs 1 S 3 SGB 2 gegenüber § 198 Abs 5 S 3 GVG. eigenes Prozessverhalten des Klägers. fehlende oder nicht ausreichende Reaktion auf gerichtliche Aufforderung zur Stellungnahme. Bearbeitung von Befangenheitsanträgen keine Passivzeit

 

Orientierungssatz

1. Selbst wenn eine Entschädigung nach § 198 Abs 1 GVG im Sinne des SGB 2 als Einkommen oder Vermögen gemäß §§ 11, 12 SGB 2 zu betrachten und von der Einkommensberücksichtigung gemäß § 11a Abs 3 SGB 2 nicht ausgenommen wäre, schließt § 198 Abs 5 S 3 GVG den Anspruchsübergang bis zur rechtskräftigen Zuerkennung einer Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer aus. Deshalb kann einem Bezieher laufender Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nicht die Aktivlegitimation für eine Entschädigungsklage fehlen (so auch LSG Chemnitz vom 29.3.2017 - L 11 SF 17/16 EK).

2. § 33 Abs 1 S 3 SGB 2 tritt bei konventionsrechtskonformer Auslegung hinter § 198 Abs 5 S 3 GVG zurück (so auch LSG Chemnitz vom 29.3.2017 - L 11 SF 17/16 EK, auch mit Ergebnis der bestehenden Aktivlegimitation, wenn auch mit zum Teil anderer Begründung LSG Celle-Bremen vom 10.8.2017 - L 10 SF 10/17 EK U = info also 2017, 276, aA LSG Celle-Bremen vom 22.9.2016 - L 15 SF 21/15 EK AS).

3. Die Zeiten, in welchen der Kläger auf Verfügungen des Gerichts zur Stellungnahme nicht oder nicht ausreichend reagiert, sind bei der Bemessung der unangemessenen Verfahrensdauer nach § 198 Abs 1 S 2 GVG nicht dem Gericht anzulasten.

4. Die Zeit der Bearbeitung von Befangenheitsanträgen geht ebenfalls nicht zulasten der Justiz, denn während dieser Zeit ist eine Bearbeitung in der Sache nicht möglich.

5. Solange es nicht um das "Ob" einer Bewilligung oder Entziehung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende geht, sondern um eine halbjährliche Regelung der Eingliederung mit Pflichten der und Bewilligung von Leistungen (hier: Übernahme von Bewerbungskosten und Fahrtkosten für Vorstellungsgespräche), ist eine besondere Eilbedürftigkeit unterhalb der Vorbereitungszeit von mindestens 12 Monaten nicht zu erkennen.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 18.09.2018; Aktenzeichen B 10 ÜG 8/18 B)

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um Entschädigungsforderungen der Klägerin wegen der Länge des Gerichtsverfahrens beim Sozialgericht für das Saarland S 12 AS 545/12.

Am 6.8.2012 erhob die Klägerin Klage gegen das Jobcenter im Landkreis Sa. und griff die „Eingliederungsvereinbarung per Verwaltungsakt“ vom 9.5.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4.7.2012 an, der eine Eingliederungsvereinbarung auf der Grundlage von § 15 Abs. 1 SGB II für die Zeit vom 9.5.2012 bis 8.11.2012 ersetzt und Kosten für schriftliche Bewerbungen in Höhe von maximal 300 € pro Kalenderjahr, die Übernahme von Fahrtkosten zu Vorstellungsgesprächen in Höhe von 0,20 € je Kilometer, maximal 130 € je Vorstellungsgespräch bewilligt hatte, wenn die Kostenübernahme rechtzeitig vor Antritt der Fahrt beantragt wurde. Die Klägerin habe die Pflicht, mindestens 15 Bewerbungsbemühungen im Turnus von 3 Monaten mit der Vorlage von Bestätigungen nachzuweisen. Auf die Rechtsfolgen wurde sie hingewiesen.

Im Verlauf des Klageverfahrens erhob die Klägerin unter dem 22.10.2015 Verzögerungsrüge.

Mit Gerichtsbescheid vom 23.3.2016 wies das Sozialgericht für das Saarland (SG) die Klage (S 12 AS 545/12) ab. Den von der Klägerin mittlerweile gestellten Feststellungsantrag, dass der Eingliederungsverwaltungsakt vom 9.5.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4.7.2012 rechtswidrig war, betrachtete das SG als zulässig und nicht verfristet, der Bescheid sei aber rechtmäßig gewesen.

Im anschließenden Berufungsverfahren (L 4 AS 10/16) erließ der 4. Senat des Landessozialgerichts für das Saarland (LSG) am 19.6.2017 ein Urteil nach mündlicher Verhandlung, mit dem es den Gerichtsbescheid aufhob und feststellte, dass der Eingliederungsverwaltungsakt vom 9.5.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4.7.2012 rechtswidrig war.

Eine am 6.3.2017 hilfsweise eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde (NZB) nahm die Klägerin im Termin der mündlichen Verhandlung zurück (L 4 AS 7/17 NZB).

Bereits am 23.9.2016 hat die Klägerin einen Prozesskostenhilfe(PKH)-Antrag für eine beabsichtigte Entschädigungsklage gegen den Beklagten im Hinblick auf die Dauer des Klageverfahrens gestellt (L 2 SF 4/16 EK AS PKH). Mit Beschluss vom 20.3.2017 hat der Senat PKH ohne Ratenzahlung unter Beiordnung von Rechtsanwalt B. bewilligt.

Die Klägerin hat am 21.4.2017 vorliegende Entschädigungsklage erhoben.

Im Wesentlichen ist sie der Ansicht, sie und nicht das Jobcenter sei für die Entschä...

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