Entscheidungsstichwort (Thema)

Überlanges Gerichtsverfahren. unangemessene Verfahrensdauer. Entschädigungsklage. Kompensation überlanger Verfahrensdauer durch schnelles Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren. Übertragung nicht verbrauchter Überlegungs- und Bedenkzeit auf vorhergehende Instanz. Erhöhung der Überlegungs- und Bedenkzeit auf 18 Monate bei Mehrfachklägern. Herabsetzung der Entschädigungspauschale auf 10 Euro bei geringem Streitwert des Ausgangsverfahrens. Verzögerungsrüge. Rügezeitpunkt. Verzögerungsbesorgnis. fehlender Einblick in gerichtsinterne Abläufe. Missbrauchskontrolle. Aktivzeit. Überlastungsanzeige

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine im Klageverfahren eingetretene Verzögerung kann durch die zügige Durchführung eines NZB-Verfahrens (teilweise) kompensiert werden. Weist das NZB-Verfahren keine Zeiten der Inaktivität auf, reduziert sich die Verzögerung um 6 Monate.

2. Führt ein Kläger eine Vielzahl von Verfahren, kann es gerechtfertigt sein, den Orientierungswert von 12 Monaten Vorbereitungs- und Bedenkzeit auf 18 Monate zu erhöhen.

3. Bei einer entschädigungspflichtigen Verzögerung von 17 Monaten ist ein höherer Entschädigungsbetrag als 10 € pro Monat der Verzögerung, also insgesamt 170 €, im Hinblick auf den geringen Streitwert im Ausgangsverfahren von lediglich 14,30 € unbillig. Eine Entschädigungssumme von 1700 € stünde dazu in keinem Verhältnis (ähnlich LSG Neustrelitz vom 12.2.2020 - L 12 SF 39/17 EK AS = juris RdNr 44).

 

Orientierungssatz

1. Da sich im Hinblick auf die Besorgnis der Verzögerung iS des § 198 Abs 3 S 2 Halbs 1 GVG der richtige Zeitpunkt aus Sicht des Betroffenen, der regelmäßig keinen Einblick in die inneren Abläufe des Gerichts hat, nur schwer einschätzen lässt, geht es im Kern nur darum, Missbrauchsfälle abzuwehren (vgl BGH vom 26.11.2020 - III ZR 61/20 = BGHZ 227, 377).

2. Die Erstellung einer Überlastungsanzeige durch das Gericht ist keine aktive Bearbeitung des Verfahrens.

 

Tenor

Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin 170 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Im Streit steht eine Entschädigung wegen der Dauer eines sozialgerichtlichen Verfahrens (Ausgangsverfahren S 12 AS 552/12).

Die Klägerin steht seit 2005 im laufenden Bezug von Leistungen nach dem SGB II. Das Jobcenter lehnte die Erstattung von Fahrkosten ab. Das Klageverfahren nahm folgenden Verlauf:

8.8.2012

Klageerhebung (auf Zahlung von Fahrkosten von 14,30 €).

9.8.2012

Übersendung der Klageschrift an Beklagten.

20.9.2012

Eingang der Klageerwiderung.

21.9.2012

Weiterleitung an die Klägerin zur Kenntnis und Stellungnahme binnen 5 Wochen.

18.9.2012

Befangenheitsantrag der Klägerin gegen RSG B..

26.9.2012

Hinweis des RSG Gr., dass der Befangenheitsantrag nicht ausreichend begründet sei.

27.9.2012

Hinweis des RSG Gr., dass in allen von den Ablehnungsgesuchen betroffenen Verfahren die Eingänge künftig dem Vorsitzenden der Kammer 12 zur Kenntnisnahme und Entscheidung, ob das Tätigkeitsverbot des § 47 Absatz 1 ZPO eingreife, vorgelegt würden.

11.10.2012

Stellungnahme Beklagter.

31.10.2012

Stellungnahme Klägerin.

31.10.2012

Anfrage des SG, ob im Hinblick auf eine Änderung im Vorsitz der Kammer 12 zum 1.12.2012 der Befangenheitsantrag aufrechterhalten bleibt.

19.11.2012

Klägerin bittet um Fristverlängerung.

27.11.2012

Stellungnahme Klägerin: Zweifel an der Wirksamkeit des Geschäftsverteilungsplans.

28.11.2012

 Hinweis des SG.

18.12.2012

Stellungnahme Klägerin.

18.12.2012

Hinweis des SG auf den neuen Geschäftsverteilungsplan.

23.12.2012

Befangenheitsantrag der Klägerin gegen den neuen Vorsitzenden der Kammer 12 RVG Kö.. (Az. S 12 SF 29/13 AB)

9.1.2013

Hinweis des SG, dass der 2. Befangenheitsantrag unbegründet sein dürfte.

28.1.2013

Stellungnahme Klägerin zum 1. Befangenheitsverfahren.

30.1.2013

Beschluss des SG: Befangenheitsantrag gegen den RSG B. wird zurückgewiesen.

6.2.2013

Zustellung des Beschlusses an die Klägerin.

14.2.2013

Stellungnahme der Klägerin zum 2. Befangenheitsantrag.

18.2.2013

Stellungnahme der Klägerin zum 2. Befangenheitsantrag.

19.2.2013

Anforderung einer dienstlichen Stellungnahme des RVG Kö. sowie Hinweis zur Sach- und Rechtslage an die Klägerin.

20.2.2013

Dienstliche Stellungnahme des RVG Kö. (mit falschem Datum 20.12.2013), übersandt an die Beteiligten.

15.3.2013

Klägerin bittet um Fristverlängerung.

15.3.2013

Hinweis des SG zur Sach- und Rechtslage.

22.4.2013

Rücknahme des Befangenheitsantrages durch den Prozessbevollmächtigten der Klägerin sowie Stellung eines PKH-Antrages und Ankündigung, dass in der Sache die gestellten Anträge noch einmal überprüft, gegebenenfalls korrigiert würden und ergänzend vorgetragen werde.

24.10.2013

Hinweis des SG zur Sach- und Rechtslage an Beklagten mit der Bitte um Stellungnahme.

11.12.2013

SG erinnert den Beklagten an Stellungnahme.

17.1.2014

Beklagter bittet um Fristverlängerung.

20.1.2014

SG...

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