Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Erstattung von Kosten im Vorverfahren. erfolgreicher Widerspruch. Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft. Gesamtgläubigerschaft. Rechtsanwaltsvergütung. Bemessung der Geschäftsgebühr. Schwellengebühr

 

Leitsatz (amtlich)

Erwirken zwei Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft (Mutter und minderjähriger Sohn) gemeinsam einen Kostenfestsetzungsbescheid nach § 63 Abs 3 SGB X über einen einheitlichen Betrag, der keine Angaben zu den Beteiligungsverhältnissen enthält, so sind sie hinsichtlich des Kostenerstattungsanspruchs Gesamtgläubiger (vgl BGH vom 20.5.1985 - VII ZR 209/84 = MDR 1986, 222).

 

Orientierungssatz

Eine Geschäftsgebühr über der Schwellengebühr nach Nr 2400 RVG-VV aF kommt auch nicht aufgrund des von der Rechtsprechung zugebilligten Toleranzzuschlags in Betracht, wenn der Umfang und die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit lediglich durchschnittlich war (vgl BGH vom 5.2.2013 - VI ZR 195/12 = NJW-RR 2013, 1020).

 

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 12. Oktober 2016 geändert. Der Beklagte wird unter Abänderung des Kostenfestsetzungsbescheides vom 03. März 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. März 2010 verurteilt, die Klägerin von den Kosten des Widerspruchsverfahrens in Höhe von 309,40 EUR unter Anrechnung der bereits erfolgten Zahlung in Höhe von 57,12 EUR freizustellen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Der Beklagte erstattet der Klägerin 2/3 der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist die Höhe der vom Beklagten zu erstattenden Aufwendungen für die Hinzuziehung einer Bevollmächtigten im Widerspruchsverfahren.

Die 1979 geborene Klägerin lebte mit ihrem 2002 geborenen Sohn in einer Bedarfsgemeinschaft und bezog Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Sie bewohnten in der J Straße in D eine 74,69 m² große 3 1/2 Zimmerwohnung mit einer Grundmiete iHv 379,16 EUR zzgl 122,93 EUR Betriebskosten und 112,02 EUR Heizkosten. Der Lebensgefährte der Klägerin und Kindsvater, der ebenfalls Mitglied der Bedarfsgemeinschaft war, starb 2009.

Mit Schreiben vom 14. Januar 2010 teilte der Beklagte der Klägerin mit, dass nach seinen Feststellungen die derzeitigen Kosten der Unterkunft und Heizung den für den Landkreis Märkisch-Oderland angemessenen Umfang um 163,66 EUR überstiegen. Er bat die Klägerin mitzuteilen, ob Gründe vorlägen, die Einfluss auf die Beurteilung der Angemessenheit bzw die Zumutbarkeit kostensenkender Maßnahmen haben könnten und wies darauf hin, dass er die tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung nur bis zum 31. Juli 2010 berücksichtigen werde und danach nur noch iHv 450,45 EUR. Gegen dieses Schreiben sei der Widerspruch zulässig. Am 09. Februar 2010 legte die Prozessbevollmächtigte der Klägerin Widerspruch "der Bedarfsgemeinschaft" ein und benannte als Widerspruchsführer namentlich die Klägerin und ihren Sohn und wies darauf hin, dass nach dem Tod des Mitgliedes der Bedarfsgemeinschaft die Nebenkosten erheblich sinken würden und der Verbrauch an Wasser und Heizenergie sich bereits verringert habe.

Durch Widerspruchsbescheid vom 18. Februar 2010 verwarf der Beklagte den Widerspruch der Klägerin als unzulässig, da das Schreiben vom 14. Januar 2010 keinen Verwaltungsakt iSd § 31 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) darstelle und irrtümlich eine Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt gewesen sei. Gleichzeitig verfügte der Beklagte, dass die im Widerspruchsverfahren entstandenen notwendigen Aufwendungen erstattet würden.

Daraufhin reichte die Prozessbevollmächtigte mit am 23. Februar 2010 beim Beklagten eingegangenen Schreiben eine Rechnung iHv insgesamt 506,46 EUR (Geschäftsgebühr nach § 14 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz ≪RVG≫, Nr 2400 Vergütungsverzeichnis ≪VV≫ in der Anlage 1 des RVG iHv 312,00 EUR, Gebührenerhöhung nach Nr 1008 VV RVG um 0,3 wegen zwei Auftraggebern iHv 93,60 EUR, Pauschale für Post und Telekommunikation nach Nr 7002 VV RVG iHv 20,00 EUR, 19 % Mehrwertsteuer nach Nr 7008 VV RVG iHv 80,86 EUR) ein.

Mit dem Kostenfestsetzungsbescheid vom 03. März 2010 setzte der Beklagte die zu erstattenden Kosten im Widerspruchsverfahren auf 57,12 EUR (Geschäftsgebühr nach § 14 RVG Nr 2400 VV RVG iHv 40,00 EUR, Pauschale für Post und Telekommunikation nach Nr 7002 VV RVG iHv 8,00 EUR, 19 % Mehrwertsteuer nach Nr 7008 VV RVG iHv 9,12 EUR) fest. Es sei ein Betrag unterhalb der Regelgebühr festzusetzen, da die Tätigkeit hinsichtlich des Umfangs und der Schwierigkeit deutlich unter dem Durchschnittsfall gelegen habe. Es könne der Bevollmächtigten aufgrund ihrer Fachkenntnisse unterstellt werden, dass ihr die Fehlerhaftigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung bekannt gewesen sei. Der mit der Einlegung des vorsorglichen und unzulässigen Widerspruchs verbundene notwendige Arbeitsaufwand habe nicht über der mit dem Mindestbetrag der Geschäftsgebühr abgegoltenen allgemeinen Verfahrensförderung gele...

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