Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Eingliederungsvereinbarung. nach Abschluss keine Befugnis zum Erlass eines diese Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsakts

 

Leitsatz (amtlich)

§ 15 Abs 1 S 6 SGB 2 stellt keine Rechtsgrundlage dafür dar, eine bereits abgeschlossene und weiterhin geltende Eingliederungsvereinbarung durch einen Verwaltungsakt zu ergänzen, zu ändern oder zu ersetzen.

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 13. Oktober 2010 aufgehoben und die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 6. September 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Oktober 2011 angeordnet.

Die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers werden in beiden Rechtszügen vom Antragsgegner erstattet.

 

Gründe

Die am 18. November 2011 eingegangene Beschwerde des Antragstellers gegen den ihm am 19. Oktober 2011 zugestellten Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 13. Oktober 2011, mit dem sein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 6. September 2011 abgelehnt worden ist, hat Erfolg. Mit dem angefochtenen Bescheid hat der Antragsgegner die Regelungen einer Eingliederungsvereinbarung für die Zeit vom 6. September 2011 bis zum 15. Januar 2012 durch einen Verwaltungsakt getroffen, obwohl die Beteiligten am 27. Mai 2011 für die Zeit bis zum 15. Januar 2012 bereits eine Eingliederungsvereinbarung geschlossen hatten.

Die zulässige Beschwerde ist begründet. Nachdem zwischenzeitlich ein zurückweisender Widerspruchsbescheid vom 20. Oktober 2011 erlassen worden ist, gegen den der Antragsteller bei dem Sozialgericht unter dem Aktenzeichen S 191 AS 31115/11 Klage erhoben hat, ist dessen Begehren dahingehend zu verstehen, dass die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage angeordnet werden soll. Das so verstandene Aussetzungsinteresse des Antragstellers überwiegt gegenüber dem Vollziehungsinteresse des Antragsgegners (§ 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Sozialgerichtsgesetzes [SGG]). Der Bescheid vom 6. September 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Oktober 2011 erweist sich nach vorläufiger Prüfung als rechtswidrig.

Der Antragsgegner kann den angefochtenen Bescheid nicht auf den als Rechtsgrundlage ausschließlich in Betracht kommenden § 15 Abs. 1 Satz 6 des Zweiten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB II) stützen. Danach sollen die in einer Eingliederungsvereinbarung zu treffenden Regelungen durch Verwaltungsakt erfolgen, wenn eine Eingliederungsvereinbarung nicht zustande kommt. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist das Nichtzustandekommen einer Eingliederungsvereinbarung zwar keine Voraussetzung für einen ersetzenden Verwaltungsakt. Vielmehr steht dem Grundsicherungsträger diese Alternative schon dann zu, wenn sie ihm als der besser geeignete Weg erscheint (Bundessozialgericht, Urteil vom 22. September 2009, B 4 AS 13/09 R). Das bedeutet jedoch nicht, dass die Behörde eine bereits abgeschlossene und weiterhin geltende Eingliederungsvereinbarung durch einen Verwaltungsakt ergänzen, ändern oder ersetzen darf, wenn sie dies für erforderlich hält. Bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift wird deutlich, dass sie nur anwendbar ist, wenn keine Eingliederungsvereinbarung besteht. Das ergibt sich auch aus der Gesetzesbegründung. Danach konkretisiert die Eingliederungsvereinbarung das Sozialrechtsverhältnis zwischen dem Erwerbsfähigen und der Agentur für Arbeit. Sie enthält verbindliche Aussagen zum Fördern und Fordern des Erwerbsfähigen, insbesondere zu den abgesprochenen Leistungen zur Eingliederung in Arbeit und den Mindestanforderungen an die eigenen Bemühungen um berufliche Eingliederung nach Art und Umfang. Die Eingliederungsvereinbarung soll für sechs Monate gelten. Gelingt die Eingliederung in diesem Zeitraum nicht, ist eine neue Vereinbarung zu schließen, dabei sind die gewonnenen Erfahrungen zu berücksichtigen. Durch die Befristung sollen eine intensive Betreuung und eine zeitnahe kritische Überprüfung der Eignung der für die berufliche Eingliederung eingesetzten Mittel sichergestellt werden. Kommt eine Eingliederungsvereinbarung nicht zustande, können die vorgesehenen Festlegungen auch durch einen Verwaltungsakt getroffen werden (BT-Drucksache 15/1516, S. 54).Der Gesetzgeber ist also davon ausgegangen, dass eine einmal abgeschlossene Eingliederungsvereinbarung grundsätzlich bis zum Ablauf der Befristung gilt. Da es sich zudem bei einer Eingliederungsvereinbarung um einen öffentlich-rechtlichen Vertrag im Sinne des § 53 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) handelt (Sächsisches Landessozialgericht, Urteil vom 26. Mai 2011, L 3 AL 120/09; Urteil vom 19. Juni 2008, L 3 AS 39/07; Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 19. Juli 2007, L 7 AS 689/07; Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 17. März 2006, L 7 AS 118/05; Hessisches Landessozialgericht, Beschluss vom 17. Oktober 2008, L 7...

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