Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Offenbarungspflicht HIV-infizierten medizinischen Personals gegenüber dem Arbeitgeber. Befangenheit des Richters. keine Notstandslage gem § 34 StGB. Anästhesist

 

Orientierungssatz

1. Die nur anonyme Meldepflicht einer Human-Immunodeficiency-Virus- (HIV-) Infektion nach § 7 Abs 3 IfSG begründet auch für medizinisches Personal nur eingeschränkte arbeitsvertragliche Offenbarungspflichten. Dem ist auch im vom Amtsermittlungsgrundsatz geprägten sozialgerichtlichen Verfahren Rechnung zu tragen.

2. Zum Nichtvorliegen einer Notstandslage einer Richterin gem § 34 StGB zur Begründung einer Offenbarungspflicht im Hinblick auf die von Amts wegen gewonnene, grundsätzlich der Geheimhaltungspflicht gem § 203 Abs 2 Nr 1 StGB iVm § 11 Abs 1 Nr 2 Buchst a StGB unterliegende Erkenntnis - HIV-Infektion des Klägers - gegenüber dessen Arbeitgeber zum Schutz von Dritten (medizinische Mitarbeiter und Patienten).

 

Tatbestand

Im zugrunde liegenden Verfahren vor dem Sozialgericht ist die Anerkennung einer HIV-Infektion als Berufskrankheit nach Nr. 3101 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung - BKV - streitig.

Der Kläger ist nach abgeschlossenem Medizinstudium und nach Beschäftigungen in verschiedenen Krankenhäusern seit 2001 als Arzt in der Abteilung Anästhesie eines Krankenhauses beschäftigt. Der Kläger ist verheiratet und Vater eines Kindes.

Am 4. März 2003 zeigte der damalige Betriebsarzt des Krankenhauses der Beklagten an, dass der Kläger an einer akuten HIV-Infektion leide, die von PD Dr. K. antiretroviral therapiert werde. Infektionszeitpunkt sei mutmaßlich Ende Juli 2002 gewesen. Der positive HIV-Test datiere auf September 2002. Aufgrund einer angeblich im Op. zugezogenen Nadelstichverletzung und dem Umgang mit infektiösem Material im Rahmen der ärztlichen Tätigkeit sei die Berufskrankheit Nr. 3101 (HIV-Infektion) anzunehmen. Weiter hieß es auf dem Meldeformular “Arbeitgeber soll nichts erfahren!!".

In seinen Angaben zum Vorgang berichtete der Kläger, seine jetzige Erkrankung habe sich erstmals im August 2002 durch Hyperthermie (bis 38,5Grad C), Bauchschmerzen, Diarrhoe, Hautausschlag und Lymphadenopathie bemerkbar gemacht. Seit September 2002 werde er von PD Dr. K. behandelt. Im Juli 2002 sei er mit der Behandlung zweier HIV-positiver Patienten in Berührung gekommen. Dabei habe er sich eine Stichverletzung mit einer Kanüle aus dem Kanülenabwurfbehälter zugezogen. Es bestand Einverständnis, sich bei PD Dr. K. näher wegen der Erkrankung zu informieren; eine Unterrichtung des Arbeitgebers würde aber in jedem Fall abgelehnt.

Daraufhin zog die Beklagte ein von der Krankenversicherung geführtes Vorerkrankungsverzeichnis des Klägers bei. Darin waren bis zum 1. April 2002 keine Erkrankungen und Behandlungen registriert. Die Diagnose “Aids-Erkrankung" taucht unter dem Diagnoseschlüssel “042" erstmals mit Abrechnungen von November und Dezember 2002 für den Behandlungszeitraum ab September 2002 auf.

Der anschließend von der Beklagten befragte, den Kläger behandelnde Arzt PD. Dr. K. gab an, den Kläger erstmals am 27. September 2002 behandelt zu haben. Dabei habe er folgenden Befund festgestellt: klinisch einige bis ca. 1 cm große Lymphknoten zervikal und in der rechten Leiste, ansonsten unauffällig, laborchemisch HIV-Antikörper positiv, HI-Viruslast 3 Mio. copies/ml, T4-Helferzellen 456/µl. Der Kläger werde seither auf Dauer antiretroviral therapiert; diese Therapie sei fortzuführen. Der Behandlungsverlauf sei bislang als unkompliziert zu bezeichnen. Am 21. März 2003 habe die HI-Viruslast noch 610 copies/ml bei T4-Helferzellen von 985/µl gelegen. Die anamnestischen Angaben des Klägers seien schlüssig. Das im August 2002 aufgetretene Krankheitsbild sei eindeutig mit einer akuten HIV-Infektion vereinbar. Die laborchemische Diagnostik vom September 2002 beweise die HIV-Infektion. Der serologische Verlauf spreche für eine kürzliche Infektion. Eine Nachuntersuchung einer Serumprobe des Klägers von Januar 2001 habe negative HIV-Antikörper aufgewiesen. Der Infektionszeitpunkt müsse deshalb zwischen Dezember 2000 und August 2002 liegen.

Im Folgenden legte der Kläger einen anonymisierten Befundbericht über einen in der Zeit vom Mai bis Juli 2002 im Krankenhaus stationär behandelten Patienten zu den Akten der Beklagten vor. Die für diesen Patienten gestellten Diagnosen lauteten u. a. HIV-positiv.

Daraufhin bat die Beklagte den Kläger u. a. um weitere Auskünfte, insbesondere zur geltend gemachten Nadelstichverletzung, über einen weiteren von ihm im Krankenhaus als Anästhesist betreuten HIV-positiven Patienten sowie um die Erteilung des Einverständnisses zur Beteiligung des Staatlichen Gewerbearztes am Verfahren. In der Folge kam es im Juli 2003 zu einer Vorsprache des Klägers auf der Dienststelle der Beklagten, die protokollgemäß dokumentiert wurde. Anlässlich dieser Besprechung machte der Kläger folgende Angaben: Er sei weiterhin als Anästhesist tätig und übe daneben noch Notarzttätigkeiten für das ihn beschäftigende Kra...

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