Entscheidungsstichwort (Thema)

Eigenbedarfskündigung: Absehbarkeit des Eigenbedarfs bei Vertragsschluß

 

Orientierungssatz

(aus Wohnungswirtschaft & Mietrecht WuM)

1. Ein Wohnungsmietverhältnis kann nicht vor Ablauf von fünf Jahren wegen Eigenbedarfs gekündigt werden, wenn der Eigenbedarf bei Vertragsschluß absehbar war.

2. Welchen Eigenbedarf der Vermieter bei Vertragsschluß vorausschauend zu bedenken hat, richtet sich nach den tatsächlichen Verhältnisse und nicht nach seiner subjektiven Einschätzung.

3. Es ist damit zu rechnen, daß sich ein angehender Abiturient für ein Studium am Wohnort der Eltern entschließt.

 

Tatbestand

(Aus Wohnungswirtschaft & Mietrecht WuM)

Der Kläger verlangt Räumung einer vom Beklagten innegehaltenen Dreizimmerwohnung. Durch Vertrag v. 13. 11. 1987 mietete der Beklagte zunächst ein Zimmer mit gemeinschaftlicher Küchen- und Toilettenbenutzung im Hause in Gießen. Am 12. 1. 1992 unterzeichneten die Parteien einen weiteren Mietvertrag, der ein zweites Zimmer mitumfaßte. Schließlich kam es am 26. 1. 1992 zum Abschluß eines dritten Mietvertrages über die gesamte Dreizimmerwohnung. Dieses Mietverhältnis kündigte der Kläger mit Schreiben v. 13. 6. 1994 und nochmals mit Schreiben v. 19. 6. 1995. Er behauptet, die Wohnung für das älteste seiner acht Kinder, den im Jahre 1973 geborenen Sohn S., zu benötigen. Dieser habe 1992 sein Abitur gemacht und studiere seit dem Sommersemester 1993 an der Fachhochschule in Gießen. Es sei sein Wunsch, den beruflichen Werdegang des Sohnes zu unterstützen. S. wolle in die dem Beklagten vermietete Wohnung einziehen, weil er sich in der elterlichen Wohnung nicht ungestört auf die bevorstehende Diplomprüfung vorbereiten könne. Die dort integriert in der Familie aufwachsende jüngste Tochter T. des Klägers bekomme aufgrund ihrer geistigen Behinderung nämlich öfters Schrei- und Tobsuchtsanfälle. Sein zweitältester, im Jahre 1975 geborener Sohn Z. wolle nach dem Abitur ebenfalls studieren, was er ebenfalls unterstütze, und dann wahrscheinlich auch in die Wohnung einziehen. So komme es auch zu einer Entspannung der beengten Wohnsituation in der elterlichen Wohnung. Das AG Gießen hat die Klage abgewiesen.

 

Entscheidungsgründe

Das AG hat den geltend gemachten Räumungsanspruch (§§556 Abs. 1, 985f. BGB) zu Recht nicht anerkannt. Der Beklagte ist aufgrund des Mietvertrages v. 26. 1. 1992 zum Gebrauch der von ihm innegehaltenen Wohnung berechtigt (§535 S. 1 BGB). Die auf Eigenbedarf (§ 564b Abs. 1, 2 Nr. 2 BGB) gestützten Kündigungen des Klägers v. 13. 6. 1994 und 19. 6. 1995 verstoßen gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) und sind unwirksam. Nach ganz überwiegend anerkannter, auch vom BVerfG (NJW 1989, 970, 972 (= WM 1989, 114)) gebilligter Rechtsprechung (LG Paderborn WM 1994, 331f.; LG Hamburg WM 1993, 50 und 677; LG Wuppertal WM 1991, 691f.; LG Heidelberg WM 1991, 270f.) setzt sich ein Vermieter zu seinem eigenen Verhalten in Widerspruch, wenn er das Mietverhältnis wegen eines Eigenbedarfs kündigt, den er schon bei Abschluß des Mietvertrages absehen konnte. Die Kündigung ist in diesem Fall als rechtsmißbräuchlich zu bewerten, auch wenn die Rechtsordnung widersprüchliches Verhalten nicht grundsätzlich beanstandet. Durch den Abschluß eines unbefristeten Mietvertrages hat der Vermieter nämlich einen Vertrauenstatbestand geschaffen, den der Mieter zur Grundlage seiner Dispositionen machen durfte. Eine kurzfristige Änderung seines Lebensmittelpunktes und die mit einem Umzug sonst verbundenen Belastungen sind ihm dann nicht zumutbar. Gesetzlich anerkannt ist das Schutzbedürfnis des Mieters in § 564c BGB. Aus der Bestimmung ist dann auch der Zeitraum zu entnehmen, für den der Vermieter die voraussichtliche Entwicklung bei Abschluß des Mietvertrages bedenken muß. Er beträgt fünf Jahre (§ 564c Abs. 2 Nr. 1 BGB). Dies ist zugleich auch der Zeitraum, für den der Vertrauensschutz des Mieters eine Kündigung auf der Grundlage des schon bei Vertragsschluß absehbaren Eigenbedarfs verbietet. Darin liegt kein unzulässiger Eingriff in den - verfassungsrechtlich geschützten - Selbstnutzungswunsch des Vermieters oder in dessen Lebensplanung; lediglich die Durchsetzung dieses Wunsches wird für eine gewisse Zeit aus Gründen versagt, die er in zurechenbarer Weise (fehlende Aufklärung des Mieters) selbst gesetzt hat.

Vorliegend kommt es für die Beurteilung der Eigenbedarfskündigungen des Klägers als treuwidrig auf den Abschluß des Mietvertrages v. 26. 1. 1992 an. Durch diesen Vertrag wurde ein neues Mietverhältnis in bezug auf die streitgegenständliche Wohnung begründet. Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut der Vertragsurkunde. Am 26. 1. 1992 konnte der Kläger aber absehen, daß er demnächst eine Wohnung für seinen Sohn S. benötigt, in der dieser unbehelligt von den Anfällen der jüngsten Tochter studieren kann. Die Krankheit von T. bestand schon zu dieser Zeit und hat sich nicht wesentlich verändert. Daß T. heute lauter zu schreien vermag, als als kleines Kind, liegt in der Natur der Dinge. Gleiches ...

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