Entscheidungsstichwort (Thema)

Unwirksame außerordentliche Kündigung bei Zustellung mittels Einschreiben. Urlaubsabgeltung bei Arbeitsunfähigkeit während der Freistellung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Zugegangen im Sinne des § 130 Abs. 1 BGB ist eine Willenserklärung dann, wenn sie in den Bereich des Empfängers gelangt ist; das ist regelmäßig bei Einwurf in den Hausbriefkasten anzunehmen, da der Empfänger dann im Anschluss an die üblichen Zustellzeiten vom Inhalt der Willenserklärung Kenntnis nehmen kann.

2. Bei der Versendung per Einschreiben steckt der Postbote nicht die Willenserklärung sondern nur den Benachrichtigungszettel in den Hausbriefkasten; durch den Benachrichtigungszettel wird der Empfänger lediglich in die Lage versetzt, das Einschreiben in seinen Machtbereich zu bringen.

3. Geht das per Einschreiben versandte Kündigungsschreiben an den Absender zurück, obliegt es dessen freier Entscheidung, ob er einen erneuten Zustellversuch bewirken oder überhaupt von seiner Kündigungsabsicht Abstand nehmen will.

4. Wählt der Arbeitgeber den umständlichen Weg des Einschreibens mit Rückschein, obwohl sich der Arbeitnehmer absprachegemäß im Urlaub befindet und eine einfache Zustellung des Kündigungsschreibens jederzeit ohne (im Vergleich zum Einschreiben mit Rückschein) größeren Aufwand möglich ist, insbesondere wenn sich der Wohnort des Arbeitnehmers und das Geschäft des Arbeitnehmers in derselben Stadt befinden, und erhält er dieses Einschreiben mit dem Vermerk "Nicht abgeholt" wieder zurück, ist das Kündigungsschreiben nicht zugegangen.

5. Kann der Arbeitnehmer seinen Resturlaub bis zum Ablauf der Kündigungsfrist deshalb nicht mehr in Anspruch nehmen, weil er nach den von ihm vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses arbeitsunfähig erkrankt, steht ihm ein entsprechender Urlaubsabgeltungsanspruch zu.

6. Bezweifelt der Arbeitgeber die attestierte Arbeitsunfähigkeit, muss er die Umstände, die gegen die Arbeitsunfähigkeit sprechen, näher darlegen und im Streitfall auch beweisen, um die Beweiskraft des Attestes zu erschüttern; allein der Umstand, dass der Arbeitnehmer die ärztliche Bescheinigung erst im gerichtlichen Verfahren vorlegt und darin die krankheitsbedingte Dienstunfähigkeit genau bis zum Ablauf der Kündigungsfrist bescheinigt wird, begründet noch keine ernsthaften Zweifel daran, dass der Arbeitnehmer gemäß der vorgelegten Bescheinigung arbeitsunfähig erkrankt war.

7. Ist der Arbeitnehmer von der Arbeitsleistung freigestellt, liegt darin keine Urlaubsbewilligung; die erklärte Arbeitsbefreiung muss hinreichend deutlich erkennen lassen, dass eine Befreiung von der Arbeitspflicht zur Erfüllung des Anspruchs auf Urlaub gewährt wird, da anderenfalls nicht festgestellt werden kann, ob der Arbeitgeber als Schuldner des Urlaubsanspruchs die geschuldete Leistung bewirken will (§ 362 Abs. 1 BGB) oder als Gläubiger der Arbeitsleistung auf deren Annahme gemäß § 615 Satz 1 BGB verzichtet.

 

Normenkette

BGB § 130; BUrlG § 7 Abs. 4; BGB § 130 Abs. 1, § 611 Abs. 1; EFZG § 5 Abs. 1 S. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Koblenz (Entscheidung vom 13.11.2013; Aktenzeichen 11 Ca 459/13)

 

Tenor

Tenor:

Die Berufung des Beklagten gegen das Schlussurteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 13.11.2013 - 11 Ca 459/13 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten im Berufungsverfahren noch über einen Anspruch des Klägers auf Restlohn für den Monat Dezember 2012 und Urlaubsabgeltung.

Der Kläger wurde vom Beklagten nach dem schriftlichen Arbeitsvertrag der Parteien vom 31. Januar 2012 (Bl. 4 d.A.) ab 01. Februar 2012 als Augenoptikermeister gegen ein Bruttomonatsentgelt in Höhe von 3.196,-- EUR eingestellt. Ziff. 6 des Arbeitsvertrages der Parteien lautet auszugsweise:

"Dem Arbeitnehmer steht ein Mindesturlaub von 30 Tagen bei Beschäftigung an sechs Tagen pro Woche zu."

Mit Schreiben vom 20. November 2012 (Bl. 5 d.A.) kündigte der Beklagte das mit dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis zum 31. Dezember 2012. Im Kündigungsschreiben vom 20. November 2012 heißt es u.a.:

"Bis zum Ablauf der Kündigungsfrist weist ihr Urlaubs- und Überstundenkonto einen Stand auf. Diesen Urlaubsanspruch erteile ich Ihnen, nach Absprache, während der Kündigungsfrist, wodurch sich Ihr letzter Arbeitstag auf den 31. Dezember 2012 datiert."

Der Kläger legte dem Beklagten ein ärztliches Attest vom 20. November 2012 (Bl. 21 d.A.) vor, nach dem er vom 21. November 2012 bis zum 30. November 2012 dienstunfähig erkrankt ist. Nachdem der Kläger am 23. November 2012 die Geschäftsräume aufsuchte, kam es deswegen am 26. November 2012 zu einer Unterredung mit dem Beklagten; die Einzelheiten und Hintergründe sind zwischen den Parteien streitig.

Am 01. Dezember 2012 (Samstag) stellte der Beklagte den Kläger für diesen Tag von der Erbringung der Arbeitsleistung frei. Vom 03. bis 08. Dezember 2012 (Montag bis Samstag) nahm der Kläger in Absprache mit dem Beklagten Urlaub und...

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