Entscheidungsstichwort (Thema)

Unverhältnismäßige außerordentliche Kündigung und unbegründeter Aufhebungsantrag der Arbeitgeberin wegen abfälliger Äußerungen über einen Vorgesetzten im Kollegenkreis

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Ein Arbeitnehmer muss nicht damit rechnen, dass Äußerungen über Vorgesetzte durch seine Arbeitskollegen weitergetragen werden; es gilt der allgemeine Erfahrungssatz, dass anfechtbare Äußerungen über Vorgesetzte, sofern sie im Kollegenkreis erfolgen, in der sicheren Erwartung geschehen, dass sie nicht über den Kreis der am Gespräch Beteiligten hinausdringen werden.

2. Äußert sich ein Arbeitnehmer vor Kollegen im Rauchercontainer über einen Vorgesetzten in grober Weise ("Psychopath" .. "Der ist irre, der dürfte nicht frei rumlaufen" .. "der ist nicht normal") und stößt er Drohungen aus ("Der wird sich noch wundern, ich lasse mich nicht einfach aus dem Büro werfen" .. "der wird schon noch sehen, was er davon hat"), ist vor Ausspruch einer Kündigung eine Abmahnung zu erteilen, wenn der Arbeitnehmer darauf vertrauen kann, dass seine Äußerungen nicht weitergetragen werden, er am Vortag von seinem Vorgesetzten aus dem Büro geworfen worden ist und er sich aufgrund dieses von ihm als höchst demütigend empfundenen Vorfalls zu den Äußerungen hat hinreißen lassen, keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass eine Abmahnung eine Änderung im Verhalten des Arbeitnehmers in der Zukunft nicht bewirken kann und die Pflichtverletzung insgesamt nicht so schwer wiegt, dass selbst ihre einmalige Hinnahme der Arbeitgeberin objektiv unzumutbar ist.

3. Störungen des Betriebsfriedens, die durch die Weitergabe von abfälligen Äußerungen des Arbeitnehmers über Vorgesetzte eingetreten sind, können nicht zur Rechtfertigung eines Auflösungsantrags dienen.

 

Normenkette

BGB § 626 Abs. 1; KSchG § 9 Abs. 1; BGB § 314 Abs. 2; KSchG § 9 Abs. 1 S. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Ludwigshafen (Entscheidung vom 08.11.2013; Aktenzeichen 4 Ca 1427/13)

 

Tenor

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 8. November 2013, Az. 4 Ca 1427/13, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Der Auflösungsantrag der Beklagten wird abgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung vom 19.07.2013 und einen Auflösungsantrag der Beklagten.

Der 1962 geborene, verheiratete Kläger ist seit 18.06.2012 bei der Beklagten als Chemikant zu einem Bruttomonatsentgelt von ca. € 2.500,- beschäftigt. Er wurde zunächst befristet für zwei Jahre eingestellt, seit dem 01.06.2013 ist sein Arbeitsverhältnis unbefristet. Zuvor war er vom 03.05. bis 20.10.2010 und vom 01.04.2011 bis 15.06.2012 als Leiharbeitnehmer bei der Beklagten eingesetzt. Die Beklagte beschäftigt ca. 550 Arbeitnehmer, es besteht ein Betriebsrat.

Am 09.07.2013 führte der Produktionsleiter K. mit dem Kläger ein Personalgespräch in seinem Büro. Der Kläger hatte sich geweigert, eine neue Stellenbeschreibung zu unterschreiben, weil er ua. die Eingruppierung in Entgeltgruppe E4 als ungerecht empfand. Der Ablauf des eskalierenden Gesprächs wird von den Parteien unterschiedlich geschildert. Es wurde vom Vorgesetzten dadurch beendet, dass er die Tür öffnete und den Kläger mit der Aufforderung "Raus hier!" seines Büros verwies.

Am 10.07.2013 gegen 12:45 Uhr hielt sich der Kläger im Rauchercontainer auf. Ebenfalls anwesend waren die Arbeitskollegen G. und K. sowie ein Leiharbeitnehmer. Der Kläger schimpfte in diesem Kreis über seinen Vorgesetzten. Er räumt ein, dass er geäußert hat: "Der ist irre, der dürfte nicht frei rumlaufen", "der ist nicht normal". Als der Vorgesetzte am Rauchercontainer vorbeilief, äußerte er: "Da läuft er ja, der Psycho", "der wird schon sehen, was er davon hat".

Nach dem Vorbringen der Beklagten soll der Kläger geäußert haben: "Da läuft ja der Psychopath", "der ist nicht richtig im Kopf", "der gehört in die Psychiatrie, weil er psychisch krank ist", "der gehört eingesperrt". Außerdem soll er seinen Vorgesetzten als "Arschloch" bezeichnet und gedroht haben: "Der wird sich noch wundern, ich lasse mich nicht einfach aus dem Büro werfen", "der wird schon noch sehen, was er davon hat".

Die Arbeitskollegen meldeten den Vorfall dem Vorgesetzten. Am 11.07.2013 führte der Personalleiter mit dem Kläger deshalb ein Gespräch, an dem auch der Vorgesetzte und drei Mitglieder des Betriebsrats teilnahmen. Der Kläger bestritt zunächst die Äußerungen vom Vortag und nannte sie eine "glatte Lüge". Nach einem Vier-Augen-Gespräch mit einem Betriebsratsmitglied räumte er ein, dass er sehr aufgewühlt gewesen sei, es könne sein, dass er das alles gesagt habe, dafür entschuldige er sich.

Mit Schreiben vom 15.07.2013 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer beabsichtigten fristlosen, hilfsweise fristgemäßen Kündigung an. Der Betriebsrat widersprach mit Schreiben vom 18.07.2013 und regte an, den Kläger in eine andere Abteilung zu versetzen, um die Konfliktsituation aufzuheben.

Die Beklag...

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