Entscheidungsstichwort (Thema)

Auslegung des normativen Teils des Tarifvertrags. Eindeutige Tarifregelung für die Urlaubsquotelung bei unterjährigem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis. Freie Tarifregelung für den tariflichen Mehrurlaub

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags folgt den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei nicht eindeutigem Wortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat.

2. Eine abstrakte Tarifregelung, die sowohl den Fall eines unterjährigen Eintritts eines Arbeitnehmers als auch eines unterjährigen Austritts eines Arbeitnehmers aus dem Arbeitsverhältnis betrifft, ist nach seinem Wortlaut eindeutig. Gewollt ist eine Zwölftelung des Urlaubs, gemessen an der Anzahl der Kalendermonate, die er im Arbeitsverhältnis gestanden hat. Eine Differenzierung über die Gründe eines unterjährigen Eintritts oder eines unterjährigen Austritts trifft diese Regelung eindeutig nicht.

3. Soweit durch die Zwölftelung der tarifliche Mehrurlaub betroffen ist, können die Tarifparteien diesen Mehrurlaub grundsätzlich frei regeln. Die einschränkend Regel des § 13 BUrlG gilt nur für den gesetzlichen Mindesturlaub.

 

Normenkette

MTV Metall- und Elektroindustrie RP § 15; BUrlG § 7 Abs. 1, § 13 Abs. 1 S. 1; BGB §§ 134, 139; MTV Metall- und Elektroindustrie RP § 16 Nr. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Mainz (Entscheidung vom 10.03.2022; Aktenzeichen 5 Ca 546/21)

 

Tenor

  1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz - Auswärtige Kammern Bad Kreuznach - vom 10.03.2022 - 5 Ca 546/21 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
  2. Die Revision wird nicht zugelassen.
 

Tatbestand

Die Parteien des vorliegenden Rechtsstreits streiten darüber, ob dem Kläger gegenüber der Beklagten noch ein Anspruch auf Urlaubsabgeltung zusteht. Der 1955 geborene Kläger war vom 01.01.1985 bis zum 30.09.2021 bei der Beklagten beschäftigt. Seit dem 01.10.2021 bezieht der Kläger eine gesetzliche Altersrente.

Die Beklagte ist tarifgebunden. Auf das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien fanden die Regelungen der Tarifverträge der Metall- und Elektroindustrie Rheinland-Pfalz Anwendung. § 15 MTV lautet ausdrucksweise wie folgt:

§ 15

Urlaubsanspruch

...

5. Im Ein- und Austrittsjahr hat der Beschäftige gegen den alten und neuen Arbeitgeber auf so viel Zwölftel des ihm zustehenden Urlaubs Anspruch, als er Kalendermonate bei Ihnen gearbeitet hat. Ein angefangener Monat wird dann voll gerechnet, wenn der Eintritt vor dem 16., der Austritt nach dem 15. eines Kalendermonats erfolgt. Voraussetzung ist allerdings, dass das Arbeitsverhältnis länger als 15 Kalendertage bestanden hat.

...

6. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, dem ausscheidenden Beschäftigten eine Bescheinigung darüber auszustellen, ob und in welcher Höhe im laufenden Urlaubsjahr Urlaub erteilt worden ist. Der Beschäftigte ist verpflichtet, diese Bescheinigung bei der Einstellung vorzulegen. Für die Monate, für die der bisherige Arbeitgeber den Urlaubsanspruch über den Rahmen der Ziffer 5 Abs. 1 hinaus erfüllt hat, besteht gegen den neuen Arbeitgeber kein Anspruch.

...

Hinsichtlich des weiteren Inhalts des § 15 MTV Metall- und Elektroindustrie Rheinland-Pfalz wird auf Bl. 31 d.A. Bezug genommen.

Gemäß § 16 Nr. 1 MTV Metall- und Elektroindustrie Rheinland-Pfalz beträgt der Jahresurlaub 30 Arbeitstage.

Der Kläger hatte zuletzt ein Bruttomonatseinkommen in Höhe von 6.662,88 EUR. Bis zu seinem Ausscheiden hat er für das Kalenderjahr 2021 23 Urlaubstage verbraucht.

Streitgegenständlich setzen sich die Parteien des vorliegenden Rechtsstreits kontrovers darüber auseinander, ob dem Kläger noch ein Anspruch auf Urlaubsabgeltung gegenüber der Beklagten zusteht.

Der Kläger hat vorgetragen,

die Regelung in § 15 Nr. 5 MTV Metall- und Elektroindustrie Rheinland-Pfalz betreffe ersichtlich den Fall, in dem der Arbeitnehmer unterjährig von einem Arbeitgeber zum nächsten wechsle, also der Arbeitnehmer im laufenden Jahr das Arbeitsverhältnis einerseits beende und andererseits zu einem anderen Arbeitgeber gehe. Vorliegend sei - unstreitig - das Arbeitsverhältnis zum 30.09.2021 beendet worden, weil er ab dem 01.10.2021 die Regelaltersrente beziehe, also nicht zu einem anderen Arbeitgeber wechsle. Diesen Fall erfasse die Regelung des MTV Metall- und Elektroindustrie Rheinland-Pfalz nicht. Das unterjährige Ausscheiden wegen Eintritts in die Regelaltersrente sei vom Wortlaut des § 15 Nr. 5 MTV Metall- und Elektroindustrie Rheinland-Pfalz nicht erfasst.

Diese Tarifnorm solle ersichtlich verhindern, dass bei einem unterjährigen Ausscheiden eines Arbeitgebers ein Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers, der vom Altarbeitgeber schon erfüllt worden sei, nochmals bei dem Neuarbeitgeber geltend gemacht werde. Vorliegend könne der verbliebene Resturlaubsanspr...

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