Entscheidungsstichwort (Thema)

Unwirksame außerordentliche Kündigung eines Maschinenbedieners wegen Vortäuschens einer Erkrankung bei unsubstantiierten Einwendungen der Arbeitgeberin gegen den Beweiswert einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung und zum genesungswidrigen Verhalten des Arbeitnehmers. Unwirksamkeit ordentlicher Verdachtskündigung bei Betriebsratsanhörung zu Tatkündigung. Unwirksame personenbedingte Kündigung bei Betriebsratsanhörung zu verhaltensbedingten Kündigungsgründen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Krankgeschriebener Maschinenbediener erbringt Hilfeleistungen im Einzelhandelsgeschäft seiner Ehefrau.

2. Zur Erschütterung des Beweiswerts der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung geeigneter Sachvortrag erfordert genauere Angaben zu Umfang, Dauer, Häufigkeit und Schweregrad von körperlicher Kraftanwendung, um eine Einschätzung zu ermöglichen, inwieweit der Arbeitnehmer zur Erbringung der vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung fähig gewesen wäre oder inwieweit eine Genesung gefährdet oder verzögert werden könnte.

3. Hat der Arbeitgeber im Anhörungsschreiben an den Betriebsrat angegeben, er beabsichtige eine Kündigung "aus verhaltensbedingten Gründen", so ist er im Kündigungsschutzprozess gehindert, die Kündigung auch auf personenbedingte Gründe zu stützen, selbst wenn er dem Betriebsrat auch die in der Vergangenheit liegenden Fehlzeiten mitgeteilt hatte.

 

Normenkette

KSchG §§ 1-2; BetrVG § 102 Abs. 1; BGB § 626 Abs. 1; KSchG § 1 Abs. 2 S. 1 1. Alt., S. 1 Alt. 2; EFZG § 5 Abs. 1 S. 2; ZPO § 286

 

Verfahrensgang

ArbG Würzburg (Entscheidung vom 04.10.2012; Aktenzeichen 8 Ca 688/12)

 

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts Würzburg vom 04.10.2012, Az. 8 Ca 688/12, wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Rechtswirksamkeit einer außerordentlichen sowie einer weiteren ordentlichen Kündigung des zwischen ihnen bestandenen Arbeitsverhältnisses durch die beklagte Arbeitgeberin.

Der Kläger war seit mindestens 18.05.2009 im Betrieb der Beklagten als Maschinenbediener tätig und bezog zuletzt ein Bruttomonatsgehalt von 2.439,28 EUR.

Der Kläger war im Jahr 2010 an insgesamt 60 Tagen und im Jahr 2011 an insgesamt 71 Arbeitstagen häufig kurzerkrankt. Im Jahr 2012 war er - beginnend seit 13.12.2011 - bis 05.01.2012, dann vom 19.01. bis 12.02. und schließlich vom 21.02. bis 01.04.2012 krank geschrieben. Am 14.02.2012 fand ein Gespräch zwischen dem Kläger und dem Werkleiter M... sowie dem Betriebsratsmitglied R... wegen der hohen Fehlzeiten des Klägers statt. In diesem Gespräch gab der Kläger an, Probleme mit seiner Schulter zu haben.

Am 29., 30. und 31.03.2012 wurde der Kläger auf Veranlassung der Beklagten von der A...detektei observiert. Mit Anschreiben vom 10.04.2012 übermittelte die Detektei der Beklagten den als Anlage B1 zur Berufungsbegründung der Beklagten vom 02.05.2013 in Kopie eingereichten Bericht (auf Bl. 144 d. A. wird verwiesen). Der Kläger hatte für den gesamten - vorliegend besonders in Rede stehenden - Zeitraum vom 21.02.2013 bis 01.04.2013 ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen eingereicht Die Beklagte hatte für den gesamten Zeitraum Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall geleistet.

Am 11.04. und am 12.04.2012 wurde der Kläger von dem Werkleiter M... und der Personalreferentin K... in Gegenwart des Betriebsratsvorsitzenden Mä... zu dem Bericht über die Ereignisse vom 29., 30. und 31.03.2012 befragt.

Mit dem erst im Berufungsverfahren als Anlage B2 zur Berufungsbegründung vom 02.05.2013 in Kopie eingereichten Schreiben vom 12.04.2012 hörte die Beklagte den bei ihr bestehenden Betriebsrat zu der beabsichtigten fristlosen Kündigung an (Bl. 157 f. d. A. wird Bezug genommen). Mit dem ebenfalls erst im Berufungsverfahren als Anlage B3 zur Berufungsbegründung vom 02.05.2013 in Kopie eingereichten Schreiben vom 19.04.2012 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer beabsichtigten hilfsweise ordentlich fristgerechten Kündigung "aus verhaltensbedingten Gründen" an (Bl. 159 f. d. A.). Der Betriebsrat äußerte sich in beiden Fällen nicht.

Mit Schreiben vom 17.04.2012 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien außerordentlich mit sofortiger Wirkung und mit Schreiben vom 26.04.2012 hilfsweise ordentlich zum 31.05.2012 (Bl. 5 und 5 d.A.).

Gegen beide Kündigungen erhob der Kläger mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 03.05.2012 beim Arbeitsgericht Würzburg Kündigungsschutzklage, im Wesentlichen mit der Begründung, er habe sich während seiner Erkrankung weder grob genesungswidrig verhalten noch eine Arbeitsunfähigkeit vorgetäuscht. Er leide unter einer Depression und habe Probleme mit der linken Kniescheibe und könne lediglich nicht acht Stunden stehen, wie dies bei seiner Tätigkeit für die Beklagte erforderlich sei. Die behandelnden Ärzte hätten ihm insbesondere nicht das Führen eines Fahrzeugs während der Arbeitsunfähigkeit untersagt. Zudem seien die Kündigungen bereits...

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