Entscheidungsstichwort (Thema)

Entnahme von Waren aus dem Warenbestand des Arbeitgebers für Eigenverbrauch als Grund für fristlose Kündigung. Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bei verdeckter Videoüberwachung der Arbeitnehmer. Anhörung des Betriebsrats zu einer Tatkündigung und Anhaltspunkten für eine Verdachtskündigung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung kann darin liegen, dass der Arbeitnehmer aus dem Warenbestand des Arbeitgebers Waren zum Eigenverbrauch entnimmt oder dem dringenden Verdacht unterliegt, dies zu tun.

2. Der Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers durch eine verdeckte Videoüberwachung muss nach § 26 BDSG dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechen. Der Arbeitgeber muss deshalb vor der Installation der verdeckten Videokamera die dafür geeigneten und ihm zumutbaren Möglichkeiten ausgeschöpft haben, den möglichen Täterkreis mit entsprechenden Verdachtstatsachen einzugrenzen.

3. Hat der Arbeitgeber den Betriebsrat nur zu einer Tatkündigung angehört, so kann er die Kündigung im gerichtlichen Verfahren nur auf den bloßen Verdacht der entsprechenden Handlung stützen, wenn er den Betriebsrat auch zu den entsprechenden Verdachtsmomenten angehört hat. Nur bei nachträglichem Bekanntwerden neuer Verdachtstatsachen kann der Arbeitgeber den Betriebsrat dazu nachträglich anhören und den Verdacht der entsprechenden Handlung als Kündigungsgrund im gerichtlichen Verfahren nachschieben (Anschluss an BAG, Urteil vom 16.07.2015 - 2 AZR 85/15).

 

Normenkette

BGB § 626 Abs. 1; BetrVG § 102; GG Art. 103 Abs. 1; BGB § 241 Abs. 2, § 611a; BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 6; BDSG § 26

 

Verfahrensgang

ArbG Würzburg (Entscheidung vom 07.05.2020; Aktenzeichen 4 Ca 65/20)

 

Tenor

I. Die Berufung gegen das Endurteil des Arbeitsgerichtes Würzburg vom 07.05.2020 - 4 Ca 65/20 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

II. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung vom 04.01.2020 und einer weiteren ordentlichen Kündigung vom 13.01.2020.

Der am 25.10.1983 geborene Kläger war bei der Beklagten seit dem 17.05.2016 als gewerblicher Mitarbeiter und Kommissionierer im Frischebereich im Großhandelslager der Beklagten in G... beschäftigt in Vollzeit mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 38,5 Stunden und einem regelmäßigen monatlichen Bruttoarbeitsentgelt von zuletzt 3.023,00 € brutto zu im Übrigen den Bedingungen des Arbeitsvertrages vom 11.05./13.05.2016. Im Großhandelslager arbeiten mehr als 400 Arbeitnehmer.

Im Großhandelslager werden die Waren eingelagert und kommissioniert für die Auslieferung an den Einzelhandel. Das Lager ist u.a. aufgeteilt in die Bereiche Obst und Gemüse, Frische und Trockensortiment. Zu letzterem zählen auch Getränke und Spirituosen. Dort hatte es in der Vergangenheit Schwund gegeben. Das Trockensortiment beansprucht die größte Teilfläche im Lager. Dort wird am Sonntag nicht gearbeitet und die Beleuchtung ist ausgeschaltet. Wegen des Schwundes an Spirituosen waren Mitarbeiter beauftragt worden, die Gänge im Bereich des Trockensortiments zu kontrollieren, ob sich dort jemand unberechtigt aufhalte. Ferner war eine versteckte Kamera angebracht worden, die den Gang mit den Spirituosen im Aufnahmebereich der Kameralinse hatte. Diese wurde eingeschaltet in den Zeiten, in denen im Trockensortiment nicht gearbeitet wurde. Die Kamera war mit einem Bewegungsmelder versehen und fertigte nur Aufzeichnungen bei Bewegungen im Aufnahmebereich.

Der Kläger arbeitete am Sonntag, den 22.12.2019 im Frischebereich. Er stempelte zu einer Rauchpause aus um 16:59 Uhr und stempelte wieder ein um 17:03 Uhr. Anschließend fuhren ein Kollege und er mit je einem Flurförderfahrzeug über den Leergutbereich knappe 200 m in das abgedunkelte Trockensortiment in den Gang, in dem unter anderem Jägermeister in Gebinden zu 0,04 l in Collis gelagert wird. Dabei fuhren die beiden ausweislich eines vorgelegten Lageplanes an der Tür zu einem Treppenhaus zur Kantine im Obergeschoss vorbei. In unmittelbarer Nähe des Lagerplatzes dieser Collis stellten die beiden die Flurförderfahrzeuge ab. Vom Abstellplatz bis zur Kantine im Obergeschoss sind ca. 136 m zurückzulegen. Der Kläger und sein Kollege begaben sich nach Abstellen der Flurförderfahrzeuge ein Stück des Anfahrweges zurück in Richtung Treppenhaus zur Kantine. Am Fuß der Treppe befindet sich ein Getränkeautomat, aus dem die Mitarbeiter Getränke ziehen können. Die Kantine hat Öffnungszeiten für die Mitarbeiter von 18:00 Uhr bis 19:30 Uhr, der Korridor für die Pausenzeit der Mitarbeiter ging am 22.12.2019 von 18:00 Uhr bis 19:45 Uhr. In der Kantine befindet sich ein weiterer Getränkeautomat.

Auf dem Weg zum Treppenhaus und noch im abgedunkelten Gang direkt neben dem abgestellten Flurförderfahrzeug bückte sich der hinter dem Kollegen gehende Kläger. Anschließend setzten die beiden ihren Weg fort. Dabei wurden sie von der versteckt angebr...

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