Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebsratswahlanfechtung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Das Rechtsschutzinteresse für die in § 18 Abs. 2 BetrVG genannten Feststellungen besteht auch außerhalb eines Wahlverfahrens, wenn die gleiche Problematik bei einer künftigen Betriebsratswahl erneut auftreten kann (im Anschluss an BAG vom 25. Mai 1988 – 7 ABR 51/87 – n. a. v. unter Verweisung auf BAG vom 25. November 1980 – 6 ABR 62/79 – AP Nr. 3 zu § 18 BetrVG 1972).

2. Ein Betriebsrat kann die Kenntnis von den zahlenmäßigen Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 S. 1 BetrVG für bestimmte „Einrichtungen”, deren Arbeitnehmer an der angefochtenen Betriebsratswahl teilgenommen haben, schon deshalb haben, weil er gem. § 19 WO-BetrVG die Wahlakten bis zur Beendigung seiner Amtszeit aufzubewahren hat, aus denen dies unschwer ersichtlich gewesen und wohl von ihm gerade wegen § 4 Abs. 2 BetrVG im Anfechtungsverfahren über die Betriebsratswahl tunlichst vorgetragen worden wäre, weil dann diese als Betriebe dem Hauptbetrieb, der hier wohl die Einrichtung in der Hauptverwaltung war, zuzuordnen waren. Seine durch die Einschränkung „auf den ersten Blick” geäußerten Zweifel daran, ob bei diesen 19 Einrichtungen die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 S. 1 BetrVG vorgelegen haben, erscheinen daher eher als eine Behauptung ins Blaue hinein, der auch im vom Amtsermittlungsprinzip beherrschten Beschlussverfahren nicht weiter nachzugehen war.

3. Betriebs- und Betriebsteilbegriff wie BAG vom 17. Januar 2007 – 7 ABR 63/05 – AP Nr. 18 zu § 4 BetrVG 1972.

4. Die Leitungsmacht eines „Einrichtungsleiters” i. S. eines Betriebsleiters betreffend soziale und personelle Angelegenheiten sowohl im individual- als auch kollektivrechtlichen Bereich wird nicht dadurch wesentlich beeinträchtigt, dass ihn die vom Arbeitgeber ausdrücklich angeordnete Verpflichtung trifft, sich vom „Leiter Personalrecht” des „Hauptbetriebs” beraten zu lassen, wenn klar ist, dass er – auch entgegen dessen entsprechenden Ratschlägen und Empfehlungen – eigenverantwortlich entscheidet und dies auch den Arbeitnehmern bekannt gemacht worden ist.

5. Die Arbeitnehmer eines betriebsratslosen Betriebsteils gem. § 4 Abs. 1 S. 2 l. S. BetrVG dürfen zwar an einer Betriebsratswahl beim Hauptbetrieb teilnehmen, jedoch infolge entsprechender Verweisung auf § 3 Abs. 3 S. 2 BetrVG erst nach vorangegangener „Abstimmung”.

 

Normenkette

BetrVG 1972 §§ 1, 4, 19

 

Verfahrensgang

ArbG München (Beschluss vom 17.11.2006; Aktenzeichen 14 BV 164/06)

 

Nachgehend

BAG (Beschluss vom 09.12.2009; Aktenzeichen 7 ABR 38/08)

 

Tenor

1. Die Beschwerde des Beteiligten zu 2. gegen denBeschluss des Arbeitsgerichts München vom17. November 2006 – Gz.: 14 BV 164/06 – wird zurückgewiesen.

2. Gegen diesen Beschluss wird die Rechtsbeschwerde zugelassen.

 

Tatbestand

I.

Die Beteiligten streiten zum einen über die betriebsverfassungsrechtliche Zuordnung von Betriebsstätten und zum anderen über die Anfechtung einer Betriebsratswahl.

Der Beteiligte zu 1. (künftig: Arbeitgeber) ist im Bereich der freien Wohlfahrtspflege tätig und betreibt mehr als 90 Einrichtungen mit rund 2.200 Arbeitnehmern in Oberbayern im Bereich der Kinder-, Jugend- und Familienhilfe sowie Behindertenhilfe und Altenpflege. Seine Hauptverwaltung befindet sich in M. Nach der Betriebsratswahl 2002, an der sich eine Vielzahl dieser Einrichtungen beteiligt hatte, war ein gemeinsamer Betriebsrat für die Hauptverwaltung gewählt worden. Diese Wahl wurde vom Arbeitgeber vor dem Arbeitsgericht München erfolglos angefochten; in der mündlichen Anhörung über diesen Beschluss im Beschwerdeverfahren vor dem Landesarbeitsgericht München (Az. 9 TaBV 23/04) vom 13. Oktober 2004 ist den Beteiligten folgender Hinweis gegeben worden:

„ Das Beschwerdegericht ist der Auffassung, dass entgegen der Meinung des Arbeitsgerichts das Seniorenzentrum F. und das Seniorenzentrum T. durch den Rücktritt der Betriebsratsmitglieder betriebsratslos waren und dass deswegen ein Beschluss der Arbeitnehmer zur Teilnahme der Wahl am Hauptbetrieb gefasst werden konnte. Es ist also nun zu klären, ob die Hauptverwaltung im Verhältnis zu den einzelnen Einrichtungen tatsächlich der Hauptbetrieb ist und ob die einzelnen Einrichtungen nur Betriebsteile oder eigenständige Betriebe sind. Für die Entscheidung dieser Frage kommt es auf die Verhältnisse bei Einleitung der Betriebsratswahl an. Für das Beschwerdegericht stellt sich die Lage nach Durchführung der Betriebsratswahl relativ eindeutig dar, nämlich, dass durch die tatsächlichen Gegebenheiten alles dafür spricht und auch davon auszugehen ist, dass in den einzelnen Einrichtungen durch die Einrichtungsleiter die wesentlichen Leitungsfunktionen in personellen und sozialen Angelegenheiten durchgeführt werden. Für die Zeit vor Einleitung der Betriebsratswahl und bei der Betriebsratswahl ist dagegen der Sachverhalt für das Beschwerdegericht nicht eindeutig und anhand des bisherigen gegensätzlichen Sachvortrags schwer fassbar. Da von der Amtszeit des Betriebsrats bereits mehr als die Hälfte ver...

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