Entscheidungsstichwort (Thema)

Anforderungen an Freistellungstage nach MTV Metall NRW. Häufiger Schichtwechsel als Voraussetzung für tarifliche Freistellungstage. Berücksichtigung von in häuslicher Gemeinschaft lebenden Kindern bei tariflichen Freistellungstagen. Zulässigkeit des Wechsels der Begründung für Antrag auf tarifliche Freistellung (hier Kinderbetreuung statt Schicht)

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Inanspruchnahme tariflicher Freistellungstage nach § 25.1 Buchst. a, 1. Spiegelstrich MTV Metall NRW setzt voraus, dass der Beschäftigte regelmäßig zwischen drei oder mehr Schichten wechselt. Ein gelegentlicher Einsatz in der Nachtschicht (hier: 24 bzw. 19 Nächte im Jahr) genügt nicht.

2. Für die Inanspruchnahme tariflicher Freistellungstage nach § 25.1 Buchst. b, 2. Spiegelstrich MTV Metall NRW genügt es, dass das fragliche Kind das achte Lebensjahr noch nicht vollendet hat und in häuslicher Gemeinschaft mit dem Beschäftigten lebt. Dem tariflichen Merkmal "selbst betreuen und erziehen" kommt keine eigenständige Bedeutung zu.

3. Die Geltendmachung des Freistellungsanspruchs nach § 25 MTV Metall NRW ist nicht formbedürftig und verlangt keine Begründung. Es kommt nur auf das objektive Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen an. Hat ein Beschäftigter innerhalb der Frist des § 25.2 MTV Metall NRW den Freistellungsanspruch geltend gemacht und dabei als Freistellungsgrund "Schicht" genannt, ist er nicht gehindert, sich nach Fristablauf jedenfalls auf den Freistellungsgrund "Kinderbetreuung" i.S.v. § 25.1 Buchst. b, 2. Spiegelstrich MTV Metall NRW zu berufen (insoweit abweichend von BAG, Urteil vom 20.01.2021 - 4 AZR 286/20).

 

Normenkette

TVG § 1 Abs. 1; TV § 4 Abs. 1; MTV Metall NRW § 25; PflegeZG § 2 Abs. 1; ZPO § 97 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Minden (Entscheidung vom 25.06.2019; Aktenzeichen 1 Ca 1143/18)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Minden vom 25.06.2019 - 1 Ca 1143/18 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Gewährung von tariflichen Freistellungstagen für das Jahr 2019.

Der Kläger ist bei der Beklagten seit dem 01.05.2008 als Zerspanungsmechaniker gegen ein Bruttomonatsentgelt in Höhe von ca. 3.000,00 € beschäftigt. Seine wöchentliche Arbeitszeit beträgt 36 Stunden. Er ist ausschließlich in Wechselschicht tätig. Er hat einen Sohn, geboren am 24.03."0000", und eine Tochter, geboren am 05.09."0000", die in seinem Haushalt leben.

Die Beklagte produziert im Bereich Kanalguss und beschäftigt - Stand 01.04.2019 - 134 Arbeitnehmer (davon 3 in der Altersteilzeit-Freizeitphase). In der Regel wird bei ihr zweischichtig (Frühschicht von 6.00 Uhr bis 14.00 Uhr und Spätschicht von 14.00 Uhr bis 22.00 Uhr) in der Fünf-Tage-Woche gearbeitet, bei Bedarf zusätzlich in Nachtschicht und samstags. Im Jahr 2017 war der Kläger 24 mal und im Jahr 2019 19 mal in der Nachtschicht eingesetzt.

Grundlage des Arbeitsverhältnisses der Parteien ist ein schriftlicher Arbeitsvertrag vom 24.04.2008. Darin heißt es u.a.:

"§ 1 Vertragsgrundlage

Herr A. ist Tarifmitarbeiter. Für das Arbeitsverhältnis gelten die Tarifverträge der Metall- und Elektroindustrie in NRW in ihrer jeweils gültigen Fassung."

Wegen der weiteren Einzelheiten des Arbeitsvertrags wird auf ABl. 4 - 8 verwiesen.

In der Tarifrunde 2018 haben der Verband der Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalen e.V. und die IG Metall Bezirksleitung Nordrhein-Westfalen für die dort in der Metall- und Elektroindustrie Beschäftigten am 14.02.2018 einen "Tarifvertrag Tarifliches Zusatzgeld" (TV T-ZUG) vereinbart, der erstmals für das Jahr 2019 eine zusätzliche Einmalzahlung, bestehend aus zwei Komponenten, zugunsten der Beschäftigten vorsieht. Unter Verzicht auf einen Teil des Zusatzentgelts können diese stattdessen nach Maßgabe von § 25 des Manteltarifvertrags für die Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens vom 08.11.2018 (MTV) - bisher § 3d des Einheitlichen Manteltarifvertrags vom 18.12.2003 i.d.F. des Änderungstarifvertrags vom 14.02.2018 - die Gewährung von Freistellungstagen verlangen. § 25 MTV hat auszugsweise folgenden Wortlaut:

§ 25 Freistellungstage statt T-ZUG (A)

Beschäftigte können nach Maßgabe nachfolgender Bestimmungen verlangen, statt des tariflichen Zusatzgeldes nach § 2 Nr. 2 a) TV T-ZUG eine Freistellung in Anspruch zu nehmen.

25.1 Anspruchsberechtigte

Die Möglichkeit eine bezahlte Freistellung in Anspruch zu nehmen, besteht für folgende Beschäftigtengruppen:

a) Beschäftigte mit einer individuellen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von mindestens 35 Stunden, die

- in drei oder mehr als drei Schichten oder nur in der Nachtschicht arbeiten (nach einer Betriebszugehörigkeit von mindestens 5 Jahren und nachdem sie mindestens 3 Jahre beim derzeitigen Arbeitgeber üblicherweise in Schicht gearbeitet haben),

- in Wechselschicht arbeiten

(ab dem 1. Januar 2019 nach einer Betriebszugehörigkeit von mindestens 15 Jahren" und nachdem sie 10 Jahre beim derzeitigen Arbeitgeber üblic...

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