Entscheidungsstichwort (Thema)

Statusabgrenzung zwischen Versicherungsvertreter und Angestelltem im Außendienst

 

Leitsatz (amtlich)

1. § 84 Abs. 1 Satz 2 HGB sieht zur Abgrenzung zwischen Handelsvertreter und Angestellten im Außendienst zwei Tatbestandsmerkmale vor: Die Freiheit, seine Arbeitszeit frei zu bestimmen (›Arbeitszeithoheit‹), und die Freiheit, seine Tätigkeit zu gestalten (›Tätigkeitsgestaltungsfreiheit‹). Diese mit der Legaldefinition vorgegebenen Abgrenzungskriterien stehen nicht zur Disposition der Rechtsprechung (LAG Nürnberg, Urt. v. 26.01.1999 – 7 Sa 658/98, LAGE § 611 BGB Arbeitnehmerbegriff Nr. 35). Für die Abgrenzung des selbständigen (Einfirmen-)Vertreters zum unselbständigen Außendienstangestellten hat sich das Gesetz mithin im Bereich der Vermittlung von Geschäften und Versicherungen für Dritte auf diese beiden Kriterien beschränkt.

2. Wird auch nur eines der beiden Merkmale des gesetzlichen Leitbildes in seinem Kernbereich beschränkt, dann ist die Selbständigkeit zu verneinen und die Angestellteneigenschaft zu bejahen. Ansatzpunkt für die Ermittlung des Leitbildes sind die gesetzlichen Rahmenbedingungen der Tätigkeit des Handelsvertreters, die einerseits durch die Vorschriften der §§ 84 ff. HGB gesteckt werden, andererseits aber auch anderen gesetzlichen Regelungen – wie bspw. den Vorschriften der §§ 43 ff. VVG und der §§ 1, 3 des UWG – zu entnehmen sind. Erst wenn die vertragliche Handhabung zwischen den Parteien stärkere Einschränkungen vorsieht, als sie aufgrund gesetzlicher Regelungen und Obliegenheiten geboten sind, kann dies die Annahme eines Arbeitsverhältnisses rechtfertigen (LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 28.05.1998 – 5 Sa 1392/97, LAGE § 611 BGB Arbeitnehmerbegriff Nr. 36).

3. Bei der Abgrenzung des Status zwischen dem (Einfirmen-)Vertreter einerseits und dem Angestellten im Außendienst andererseits ist allein auf rechtliches Dürfen und Müssen abzustellen. Wer im Verhältnis zum Unternehmer tätig werden muß, ist Angestellter im Außendienst, wer dagegen frei entscheiden darf, ob, wann und wie er tätig werden will, ist Handelsvertreter. Erhält der Vermittler „Besuchsaufträge” bzw. „Besuchsanforderungen” und sonstiges Adreßmaterial, dann liegt darin weder eine Beschränkung der ›Tätigkeitsgestaltungsfreiheit‹ noch der ›Arbeitszeithoheit‹, wenn keine Verpflichtung zum Tätigwerden, sondern die Möglichkeit besteht, die „Besuchsaufträge” bzw. „Besuchsanforderungen” unerledigt zurückzugeben.

4. Wird in einer „Besuchsanforderung” oder in einem „Besuchsauftrag” eine Erledigungsfrist gesetzt, dann deutet dieser Umstand nicht auf ein abhängiges Arbeitsverhältnis hin, wenn es im Kontext weiter heißt:

„Sollte der Besuchsauftrag nicht bis zum vorgenannten Vorgabetermin erledigt werden können, bitten wir um Zwischenmitteilung oder Rückgabe.”

In einem solchen Fall steht der Erwartungshaltung des Versicherungsunternehmens keine Tätigkeitsverpflichtung gegenüber, sondern es werden lediglich die gesetzlichen Berichts- und Mitteilungspflichten des (Einfirmen-)Vertreters konkretisiert.

 

Normenkette

HGB §§ 84, 86, 86a, 92, 92a

 

Verfahrensgang

ArbG Münster (Entscheidung vom 23.04.1998; Aktenzeichen 2 Ca 116/98)

 

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Münster vom 23.04.1998 (2 Ca 116/98) abgeändert:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.

3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 12.000,00 DM = 6.135,50 [khgr] festgesetzt.

4. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten im Rahmen einer Klage gegen die Rechtswirksamkeit einer ordentlichen, fristgerechten Kündigung des Beklagten zugleich über den Status des Klägers.

Der Beklagte ist ein Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit, der in der Bundesrepublik Deutschland mehrere Bezirksdirektionen, darunter mit der Kennzahl 19 die Bezirksdirektion Münster, unterhält und der für sich und für den Verbund anderer Versicherungen der D…-Versicherungsgruppe in den Geschäftsbereichen der einzelnen Bezirken Versicherungsverträge sowohl von Handelvertreter (Versicherungsvertreter) als auch von Angestellten (auf Provisionsbasis) vermitteln läßt.

Gemäß Vertrag vom 12.09.1983 trat der Kläger als Versicherungsinspektor mit Wirkung vom 01.10.1983 in dessen Dienste. Dieser Vertrag wurde durch weiteren Vertrag vom 25.09.1984 ersetzt. In dem nunmehr gültigen Vertretervertrag (abgekürzt: VV) ist u.a. bestimmt:

2. Dienstbezeichnung

Der Vertreter führt im Geschäftsbereich die Bezeichnung: Versicherungsinspektor.

3. Rechtsstellung und Aufgaben des Vertreters

Der Vertreter ist als selbständige Gewerbetreibender im Hauptberuf (§ 84 ff. HGB) ständig damit betraut, für die D… Versicherungsverträge zu vermitteln. Über seine Zeit und die Art der Durchführung seiner Tätigkeit kann der Vertreter frei bestimmen. Bei der inneren und äußeren Ausgestaltung seiner Betriebsstätte darf der Vertreter in der Werbung für die D… nur von der D… genehmigtes Werbematerial verwenden.

Der Vertreter ist Vermittlungsagent i.S.d. ...

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