Entscheidungsstichwort (Thema)

Statusfeststellung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Abgrenzung des Versicherungsvertreters vom Angestellten (Handlungsgehilfen) erfolgt aufgrund der Vorschrift des § 92 Abs. 2 HGB nach § 84 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 HGB.

2.

  1. § 84 Abs. 1 Satz 2 HGB beschreibt zwei Abgrenzungsmerkmale: Die Freiheit der Bestimmung der Arbeitszeit und die Freiheit der Gestaltung der Tätigkeit.
  2. Die Prüfung dieser beiden Merkmale erfolgt anhand einer Vielzahl von Merkmalsfaktoren.

3. Die beiden Abgrenzungsmerkmale des § 84 Abs. 1 Satz 2 HGB sind abschließend. Eine richterliche Rechtsfortbildung dahin, diese Merkmale durch andere zu ersetzen (z B Übernahme von Unternehmensrisiko oder Gegebensein von Marktchancen), scheidet aus.

4. § 84 Abs. 1 Satz 2 HGB stellt bezüglich der Freiheit zur Tätigkeitsgestaltung und Arbeitszeitbestimmung auf das „Können” des Tätigen gegenüber dem Unternehmer ab, d h auf seine Befugnisse (sein rechtliches Dürfen). Dies bedeutet:

  1. Das Unterlassen zulässiger Aktivitäten beschränkt die in § 84 Abs. 1 Satz 2 HGB angesprochenen Befugnisse nicht (z B Nichteinsetzen von Hilfspersonen).
  2. Ist der Vertreter lediglich zu vom Unternehmer angebotenen Aktivitäten berechtigt, aber nicht verpflichtet, (z B Abarbeitung von Adressenlisten, Schulungsteilnahme), so wird sein Freiheitsspielraum im Sinn des § 84 Abs. 1 Satz 2 HGB auch dann nicht eingeschränkt, wenn er die Tätigkeiten entfaltet.
  3. Ist dem Unternehmer durch Vertrag ein erweitertes Weisungsrecht eingeräumt worden, werden schon dadurch die Befugnisse des Tätigen beschränkt; ohne Bedeutung ist, wenn der Unternehmer das Weisungsrecht nur sehr zurückhaltend oder gar nicht ausübt.
  4. Kommt der Unternehmer seinen Verpflichtungen aus dem Handelsvertretervertrag nicht nach (z B keine ausreichende Erfüllung der Informationspflicht gemäß § 86 a Abs. 2 Satz 1 HGB; Aushändigung nur unzureichender Arbeitsmaterialien), kann der Handelsvertreter Erfüllung oder Schadensersatz verlangen. Aus der bloßen Nichterfüllung kann aber keine Beschränkung der in § 84 Abs. 1 Satz 2 HGB angesprochenen Freiheiten abgeleitet werden.
  5. Abzustellen ist auf das rechtliche Dürfen gegenüber dem Unternehmer. Faktische Zwänge (z B Kundenwünsche bzgl der Gesprächstermine) bleiben unberücksichtigt.

5. Der Inhalt der vereinbarten Befugnisse ist durch Auslegung des Vertrags zu ermitteln. Hierfür gelten folgende Grundsätze:

  1. Die tatsächliche beiderseits praktizierte Vertragsdurchführung kann ein Auslegungskriterium für den ursprünglichen Rechtsbindungswillen sein.
  2. Die tatsächliche beiderseits praktizierte Vertragsdurchführung kann auch nach allgemeinen Vertragsgrundsätzen zu einer Änderung des ursprünglichen Vertragsinhalts führen (Änderungsvertrag).
  3. Die einseitig praktizierte Handhabung des Vertrags sowie die bloße ad-hoc-Einigung ohne Vertragsänderungswillen (z. B. Vereinbarung eines einzelnen Besprechungstermins oder eines konkreten Arbeitseinsatzes; Befolgung einer vom Vertrag nicht gedeckten Weisung; Erfüllung eines Wunsches) gestalten die Befugnisse nicht.
  4. Dies bedeutet zusammengefaßt:

    Der tatsächlichen Handhabung kommt nicht neben dem Vertragsinhalt eine gleichsam eigenständige Bedeutung zu, sondern sie ist nur insoweit relevant, als sie den Willen beider Parteien, sich für die Zukunft binden zu wollen, ausdrückt.

6.

  1. § 84 Abs. 1 Satz 2 HGB stellt lediglich darauf ab, welche Freiheiten des Tätigen bestehen. Keine Rolle spielt, auf welchen schuldrechtlich bindenden Regelungen eventuelle Beschränkungen der Freiheit beruhen.
  2. Die Beschränkungen können sich ergeben

    • aus im Vertragsweg vorgenommenen Bestimmungen, zu denen auch die Eingliederung in die Arbeitsorganisation gehört (z B Festlegung der Anzahl der Kundenbesuche pro Zeiteinheit oder Festlegung von festen Besprechungsterminen bereits im Vertrag; Vereinbarung von Teamarbeit); dies gilt jedenfalls dann, wenn die Bestimmungen vom Unternehmer vorgegeben wurden und der Tätige sie nicht nach seinen Bedürfnissen und Vorstellungen mitgestalten konnte („vorweggenommene einseitige Bestimmungen”, BAG, vom 30.10.1991 7 ABR 19/91 = NZA 92, 407);
    • aus einseitigen rechtmäßigen Weisungen des Unternehmers; rechtswidrige Weisungen sind per se ohne Bedeutung, gegen sie kann sich der Vertreter zur Wehr setzen.
  3. Entscheidend ist also der „Rest von Freiheit” zur Tätigkeitsgestaltung und Arbeitszeitbestimmung, der nach Ausklammerung der durch Vertrag und Weisungen vorgenommenen Bestimmungen verbleibt.
  4. Durch die Einbeziehung der im Vertragsweg vorgenommenen Bestimmungen in die Freiheitsbetrachtung bleibt für die Berücksichtigung eines gesonderten Kriteriums der Eingliederung (wohl) kein Raum mehr.

7. Bei der Beurteilung der Freiheiten im Sinne des § 84 Abs. 1 Satz 2 HGB sind folgende auf Vertrag oder Weisung beruhende Beschränkungen von vornherein auszuklammern:

  1. Beschränkungen, die dem gesetzlichen Leitbild des Handelsvertreters dem Grunde und dem Ausmaß (d h unter Wahrung des Kernbereichs des Selbständigen) nach entsprechen, z B

    • Bindung an ein Unternehmen (Konkurrenzve...

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