Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebsratswahl. Anfechtbarkeit, Antragstellung. Zulässigkeit einer generellen Briefwahlanordnung. räumlich weite Entfernung. Auswirkung auf Wahlergebnis, hypothetische Betrachtung. Nachprüfung des Stimmverhaltens der Wähler. eidesstattliche Versicherungen. Verwertbarkeit. Grundsatz der geheimen Wahl

 

Leitsatz (amtlich)

1. Bei der generellen Briefwahlanordnung nach § 24 Abs. 3 WO BetrVG kommt es für die Auslegung des Begriffs der räumlich weiten Entfernung entscheidend darauf an, ob es den Arbeitnehmern der außerhalb des Hauptbetriebs liegenden Betriebsteile oder Kleinstbetriebe unter Berücksichtigung der bestehenden oder gegebenenfalls vom Arbeitgeber zur Verfügung zu stellenden Verkehrsmöglichkeiten zumutbar ist, im Hauptbetrieb persönlich ihre Stimme abzugeben.

2. Aus dem Grundsatz der geheimen Wahl folgt, dass das Wahlverhalten der Wähler weder durch die Zeugenvernehmung noch durch eidesstattliche Versicherung gerichtlich nachgeprüft werden kann.

 

Normenkette

BetrVG § 14 Abs. 1, § 19; WO § 24 Abs. 1, 3; ArbGG § 81 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Rheine (Beschluss vom 10.11.2010; Aktenzeichen 4 BV 16/10)

 

Tenor

Die Beschwerde des Betriebsrat gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Rheine vom 10.11.2010 – 4 BV 16/10 – wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Betriebsratswahl vom 13.04.2010 für unwirksam erklärt wird.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

A

Die Beteiligten streiten um die Wirksamkeit einer Betriebsratswahl.

Die zu 5. beteiligte Arbeitgeberin betreibt ein Einzelhandelsunternehmen mit 86 Verkaufsstellen (Filialen) im Bereich des nördlichen Nordrhein-Westfalens und Niedersachsen. Sie unterhält in G1 eine Zentrale, in der die Verwaltung und das Lager ansässig sind (Bl. 84, 367 f. d. A.).

In G1 unterhält die Arbeitgeberin ferner zwei Verkaufsstellen, in denen ca. 20 Mitarbeiter beschäftigt sind. Die Verkaufsstelle in G1, S2 Str. 123, in der ca. 7 Mitarbeiter tätig sind, befindet sich ca. 800 m von der Zentrale der Arbeitgeberin, G1, U1 12, entfernt. Die Verkaufsstelle in G1, K1 Straße mit etwa 11 Mitarbeitern ist ca. 2,7 km von der Zentrale der Arbeitgeberin entfernt gelegen (Bl. 367 f. d. A.).

Zum Zeitpunkt der streitigen Betriebsratswahl waren insgesamt 902 wahlberechtigte Mitarbeiter bei der Arbeitgeberin beschäftigt, unter anderem die zu 1. bis 3. beteiligten Mitarbeiter. Die Mitarbeiterstruktur gliedert sich dabei in ca. 70 Lagermitarbeiter, ca. 45 Kraftfahrer, 15 gewerbliche Mitarbeiter und 25 Verwaltungsangestellte. Bei den verbleibenden Mitarbeitern handelt es sich um Verkäufer/Verkäuferinnen und Verkaufsstellenverwalter (Filialleiter). Bei der Arbeitgeberin sind 72,1 % Frauen und 27,9 % Männer beschäftigt.

Anlässlich der Betriebsratswahl im Jahre 2010, bei der 13 Betriebsratsmitglieder zu wählen waren, wurde am 09.02.2010 ein Wahlausschreiben (Bl. 12 ff. d. A.) erstellt, in dem es unter anderem heißt:

„Die Betriebsratswahl findet am 13.04.2010 von 8.00 – 13.00 Uhr in Zentrale G1, große Kantine statt.

Ausgenommen hiervon sind die folgenden Betriebsteile bzw. Kleinstbetriebe, für die schriftliche Stimmabgabe gem. § 24 Abs. 3 WO beschlossen wurde: VST+ Dauerhaft Kranke per Post Briefwahl.”

Das Wahlausschreiben vom 09.02.2010 wurde in der Zentrale in G1 zum einen am schwarzen Brett im Lager und zum anderen am schwarzen Brett im Verwaltungsbereich ausgehängt. Das schwarze Brett im Lager ist ca. 3 m lang und 1 m hoch. Es ist in drei gleich große Segmente aufgeteilt, wobei ein Segment ausschließlich für Betriebsratsinformationen genutzt wird.

Die Wahlausschreiben für die einzelnen Verkaufsstellen wurden mit der täglichen Post vom Lieferungsfahrer an diese übermittelt. In einigen Verkaufsstellen wurde das Wahlausschreiben auf den Tisch im Aufenthaltsraum gelegt, damit die Mitarbeiter davon Kenntnis nehmen konnten. In anderen Verkaufsstellen wurde das Wahlausschreiben in die Rundschreibenmappe gelegt, die sich in jeder Verkaufsstelle im Aufenthaltsraum befindet.

Mit Schreiben vom 04.03.2010 (Bl. 15 d. A.) gab der Wahlvorstand bekannt, dass zwei gültige Vorschlagslisten vorliegen, die Liste K3 „Die Mannschaft” und die Liste „A1-P1”. Die weitere Vorschlagsliste „Die Wende” wurde vom Wahlvorstand mit Schreiben vom 01.03.2010 (Bl. 39 d. A.) zurückgewiesen. In diesem Schreiben teilte der Wahlvorstand den Listenvertretern mit, dass die eingereichte Vorschlagsliste unheilbar ungültig sei, weil sie nicht die erforderliche Anzahl von Stützunterschriften gemäß § 14 Abs. 4 BetrVG aufweise und Teil 1 und Teil 2 der Liste, deutlich erkennbar beim Sammeln der Stützunterschriften, keine einheitliche Urkunde sei.

Die Betriebsratswahl wurde am 13.04.2010 durchgeführt. Nach der Wahlniederschrift vom 13.04.2010 (Bl. 23 d. A.) sind insgesamt 509 Wahlumschläge abgegeben worden, davon waren 464 Stimmen gültig. Auf die Vorschlagsliste 1 mit dem Kennwort „Die Mannschaft” entfielen 372 Stimmen, auf die Vorschlagsliste 2 mit dem Kennwort „A1-P1” 92 Stimmen. Danach entfielen auf die Liste 1 ...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge