Entscheidungsstichwort (Thema)

Eilantrag zur Durchsetzung des Beschäftigungsanspruchs im Rahmen des außerordentlich gekündigten Arbeitsverhältnisses einer Kundenbetreuerin

 

Leitsatz (amtlich)

1. Beschäftigungsanspruch und Weiterbeschäftigungsanspruch unterscheiden sich begrifflich durch einen zeitlichen Aspekt. Der Beschäftigungsanspruch bezieht sich auf die Zeit des zwischen den Parteien unstreitigen Bestehens ihres Arbeitsverhältnisses, insbesondere bis zum Ablauf der Kündigungsfrist, während der Weiterbeschäftigungsanspruch erst für die Zeit seit dem streitigen Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses entsteht, insbesondere nach Ablauf eines streitigen und arbeitsgerichtlich zur Überprüfung gestellten Beendigungstermins.

2. Der Beschäftigungsanspruch setzt nicht voraus, dass der Arbeitnehmer sein allgemeines Beschäftigungsinteresse im Einzelfall besonders begründet. Vielmehr hat der Arbeitgeber im Rahmen der durchzuführenden Interessenabwägung den Ausnahmetatbestand, dass sein Interesse an der Nichtbeschäftigung des Arbeitnehmers schutzwürdig ist und das allgemeine Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers überwiegt, konkret darzulegen und ggf. zu beweisen bzw. glaubhaft zu machen.

3. Die vorläufige Durchsetzung des Beschäftigungsanspruchs im Wege einstweiligen Rechtsschutzes erfordert beim Verfügungsgrund weder ein gesteigertes Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers noch eine Abwägung der Interessen beider Vertragsparteien. Die faktische Vorwegnahme der Hauptsache ist dabei unvermeidlich und sogar verfassungsrechtlich geboten. Ihre gegenteilige Rechtsprechung (LAG Hamburg, Urteil vom 24. Juli 2013 - 5 SaGa 1/13 -, Rn. 38, juris) gibt die Kammer für Fälle, in denen der Arbeitgeber eine Beschäftigung des Arbeitnehmers während der Zeit des unstreitigen Bestehens des Arbeitsverhältnisses überhaupt und insgesamt ablehnt, ausdrücklich auf.

 

Normenkette

BGB §§ 242, 611, 613; GG Art. 1-2; ZPO §§ 935, 940; ArbGG § 62 Abs. 2 S. 1; GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1; BGB § 611 Abs. 1, § 626 Abs. 1; ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Hamburg (Entscheidung vom 06.06.2017; Aktenzeichen 15 Ga 7/17)

 

Tenor

Auf die Berufung der Verfügungsklägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 06. Juni 2017 - 15 Ga 7/17 - abgeändert.

Die Verfügungsbeklagte wird einstweilen - bis zu einer erstinstanzlichen Entscheidung in der Hauptsache - verurteilt, die Verfügungsklägerin bis zum Ablauf der Kündigungsfrist am 31. Dezember 2017 zu vertragsgemäßen Bedingungen als Mitarbeiterin zu beschäftigen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Verfügungsbeklagte zu tragen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten im einstweiligen Verfügungsverfahren im Rahmen ihres außerordentlich gekündigten Arbeitsverhältnisses über einen Anspruch auf Beschäftigung bis zum Ablauf der notwendigen Auslauffrist.

Die am ... 1961 geborene Verfügungsklägerin ist seit dem 01. Mai 1987 zuletzt als Mitarbeiterin in der Abteilung Kundenbetreuung am Standort Hamburg in Teilzeit mit einer Arbeitszeit von 28 Wochenstunden an wöchentlich abwechselnd drei oder vier Arbeitstagen zu einer monatlichen Vergütung von zuletzt 2.800,00 € brutto bei der Verfügungsbeklagten beschäftigt. Sie ist ordentlich unkündbar.

Die Verfügungsbeklagte betreibt ein Versicherungsunternehmen mit zahlreichen Standorten, in denen sie deutschlandweit insgesamt etwa 10.000 Arbeitnehmer beschäftigt. In ihrer Hamburger Niederlassung beschäftigt die Verfügungsbeklagte regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von mehr als 30 Stunden ohne die zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten. Dort besteht ein Betriebsrat.

Im Anstellungsvertrag der Parteien (Anlage B 1 - Bl. 55 d.A.) ist der Verfügungsbeklagten vorbehalten, die Verfügungsklägerin im Rahmen des gesamten Geschäftsbereiches der Verfügungsbeklagten einschließlich der Außenstellen auch mit anderen Arbeiten zu betrauen. Besondere Regelungen über eine Freistellung der Verfügungsklägerin, insbesondere im gekündigten Arbeitsverhältnis, enthalten der Anstellungsvertrag oder der in Bezug genommene Manteltarifvertrag für das private Versicherungsgewerbe nicht.

Die Verfügungsbeklagte beabsichtigte, das Arbeitsverhältnis der Parteien wegen häufiger Kurzerkrankungen der Verfügungsklägerin zu kündigen. Hierzu behauptet die Verfügungsbeklagte erhebliche krankheitsbedingte Fehlzeiten der Verfügungsklägerin (2014: 139 Fehltage, 2015: 160 Fehltage, 2016: 153 Fehltage, 2017 bis zum 28. April: 37 Fehltage) verbunden mit Entgeltfortzahlungskosten von bisher etwa 70.000,00 € und aus ihrer Sicht erfolglosen Bemühungen im Rahmen eines betrieblichen Eingliederungsmanagements.

Mit Schreiben vom 19. April 2017 (Anlage B 4 - Bl. 61 d.A.) hörte die Verfügungsbeklagte den Betriebsrat zur beabsichtigten "außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist" gegenüber der Verfügungsklägerin an.

Mit Schreiben vom 26. April 2017 (Anlage A 3 - Bl. 9 d.A.) widersprach der Betriebsrat der beabsichtigten Kündigung, weil eine Weiterbeschäftigung der Verfü...

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