Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine identifizierbare wirtschaftliche und organisatorische Einheit bei einzelnen Flugzeugen, Abflugstationen oder Wet Lease eines Luftverkehrsunternehmens im Sinne eines Teilbetriebsübergangs. Zuständige Agentur für Arbeit für die Massenentlassungsanzeige für das fliegende Personal bei mehreren Abflugstationen. Unterrichtung der Personalvertretung über die beabsichtigte betriebsbedingte Kündigung. Inhalt und Grenzen des Konsultationsverfahrens mit dem Betriebsrat vor Ausspruch von Massenentlassungen. Prüfung des billigenswerten Interesses des Klägers bei einer Auskunftsklage

 

Leitsatz (amtlich)

1. Sofern Flugzeuge und Besatzungen in einem Luftfahrtunternehmen auf unterschiedlichen Flugstrecken eingesetzt werden, sind weder die einzelnen Flugzeuge noch die Lang-, Mittel- oder Kurzstrecken übergangsfähige wirtschaftliche Teileinheiten im Sinne des § 613a BGB bzw. der Richtlinie 2001/23/EG vom 12. März 2001.

2. Bei den einzelnen Abflugstationen kommt es auf deren Ausgestaltung und Organisationsstruktur an. Ist der gesamte Flugbetrieb im Wesentlichen zentral organisiert, ohne dass vor Ort eine Leitung existiert, die wesentliche Arbeitgeberfunktionen wahrnimmt, so handelt es sich bei den Abflugstationen nicht um Betriebsteile.

3. Das sog. wet-lease bildet dann keine übergangsfähige wirtschaftliche Teileinheit, wenn das Personal überwiegend nicht nur in diesem Bereich, sondern auch im eigenwirtschaftlichen Flugbetrieb eingesetzt wird, und es zudem an einer gesonderten Leitung des wet-lease fehlt. Hieran ändert sich nichts, wenn im Rahmen einer sukzessiven Betriebsstilllegung für eine kurze Übergangsfrist (hier zwei bis drei Monate) nur noch im wet-lease geflogen wird.

4. Bilden die einzelnen Flugstationen keine unterscheidbare Einheit von gewisser Dauerhaftigkeit und Stabilität, in der bestimmte Aufgaben von einer Gesamtheit von Arbeitnehmern in einer organisatorischen Struktur und mit vorgegebenen Mitteln erledigt werden, so hat die Massenentlassungsanzeige für das fliegende Personal einheitlich bei der für den Sitz des Unternehmens zuständigen Agentur für Arbeit zu erfolgen.

 

Normenkette

KSchG §§ 1, 17 Abs. 1-2; BGB § 613a; KSchG § 1 Abs. 2 S. 1, Abs. 3; InsO § 113 S. 1; BetrVG § 102; TV PV Cockpit § 74 Abs. 1; BGB §§ 123, 126 Abs. 1; BetrVG § 113 Abs. 2; BGB § 242

 

Verfahrensgang

ArbG Düsseldorf (Entscheidung vom 17.04.2018; Aktenzeichen 6 Ca 6859/17)

 

Nachgehend

BAG (Beschluss vom 10.09.2020; Aktenzeichen 6 AZR 136/19 (A))

 

Tenor

  • I.

    Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 17.04.2018 - AZ: 6 Ca 6859/17 - wird zurückgewiesen.

  • II.

    Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.

  • III.

    Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung und einen Auskunftsanspruch.

Der Beklagte ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der Air C. Q. & Co. Luftverkehrs KG (im Folgenden: Schuldnerin) mit Sitz in C.. Der am 14.05.1964 geborene, ledige, drei Kindern zum Unterhalt verpflichtete Kläger war seit dem 10.03.1988 bei der M.-Unternehmen GmbH & Co KG (im Folgenden M.) als Flugzeugkapitän/Pilot beschäftigt. Im Jahr 2011 ging das Arbeitsverhältnis aufgrund eines Betriebsübergangs im Zusammenhang mit einer aufnehmenden Verschmelzung auf die Schuldnerin über. Sein monatliches Bruttoentgelt betrug zuletzt 19.746,75 EUR.

Ursprünglich war arbeitsvertraglich N. als Dienstsitz vereinbart. Bereits mit Wirkung zum 01.03.1989 einigten sich die Arbeitsvertragsparteien auf E. als "Dienstlichen Wohnsitz" Unter dem 13.09.1989 schlossen sie einen neuen Arbeitsvertrag, in dem unter § 6 folgendes vereinbart wurde:

"Herr L. wird seinen Wohnsitz so wählen, daß er bei normaler Verkehrslage innerhalb von 60 Minuten nach Abruf den Dienst am Einsatzort Flughafen Düsseldorf/Lohausen antreten kann. …"

Arbeitsvertraglich wurde zudem auf den Rahmentarifvertrag der M. Süd in seiner jeweiligen Fassung verwiesen und nach einer Beschäftigungszeit von mehr als zehn Jahren eine Kündigungsfrist von neun Monaten vereinbart. Wegen weiterer Einzelheiten des Arbeitsvertrages wird auf Bl. 747 ff. d.A. verwiesen.

In § 50 Abs. 3 des Manteltarifvertrags Nr. 4 für das Cockpitpersonal der M. (im Folgenden MTV Nr. 4 M.) hieß es:

"Arbeitnehmern, die das 50. Lebensjahr vollendet haben und zusätzlich eine Betriebszugehörigkeit von mindestens 15 Jahren, kann nicht ohne wichtigen Grund (§ 626 BGB) gekündigt werden. Dies gilt nicht bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses gemäß §§ 48 und 49 dieses Tarifvertrages."

Bei der Schuldnerin handelte es sich bis Ende des Jahres 2017 um die zweitgrößte Fluggesellschaft Deutschlands, die von ihren Drehkreuzen in E.und C.-U. hauptsächlich Ziele in ganz Europa sowie in Nordafrika und Israel anflog. Sie beschäftigte nach Angaben des Beklagten mit Stand August 2017 6.121 Beschäftigte, davon 1.318 Piloten, 3.362 Beschäftigte in der Kabine und 1.441 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Boden. Keines der von der Schuldneri...

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