Entscheidungsstichwort (Thema)

Auslegung einer Kündigungserklärung. Räumlicher Geltungsbereich des § 23 KSchG. Verfassungskonforme Auslegung der §§ 23 und 24 Abs. 2 KSchG. Kein Betriebsübergang bei Übernahme inländischer stillgelegter Standorte. Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung bei Weiterbeschäftigungsmöglichkeit des Arbeitnehmers im Ausland. Wahrung der Schriftform der Massenentlassungsanzeige durch Telefax-Übermittlung. Mindestanforderungen an eine wirksame Massenentlassungsanzeige. Annahmeverzug des Arbeitgebers durch einseitige Freistellungserklärung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zur Auslegung und Bestimmtheit einer Kündigungserklärung, in welcher die Arbeitgeberin einen späteren als nach der anwendbaren Kündigungsfrist sich ergebenden Kündigungstermin nennt.

2. Zum räumlichen Geltungsbereich des KSchG für einen Luftverkehrsbetrieb mit einem Standort in Deutschland, dessen Leitung ihren Sitz im Ausland hat.

3. Übernimmt ein Luftverkehrsunternehmen die im Ausland gelegene Zentrale nebst weiteren ausländischen Standorten eines anderen Luftverkehrsunternehmens, liegt hinsichtlich gleichzeitig nicht übernommener, sondern stillgelegter (inländischer) Standorte auch dann kein Betriebsübergang vor, wenn diese für sich keine übergangsfähigen Einheiten i.S.v. § 613a BGB bilden.

4. Zur Berücksichtigung von Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten im Ausland im Rahmen von § 1 Abs. 2 KSchG (hier verneint).

5. Die Übermittlung einer Massenentlassungsanzeige an die Agentur für Arbeit per Telefax genügt der Schriftform des § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG.

6. Fehlende Sollangaben über Geschlecht, Alter, Beruf und Staatsangehörigkeit i.S.v. § 17 Abs. 3 Satz 5 KSchG führen nicht zur Unwirksamkeit der Massenentlassungsanzeige (entgegen LAG Hessen 25.06.2021 - 14 Sa 1225/20, juris).

7. Zur Zahlung einer sog. Sektorzulage aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs, deren Höhe und deren prozessualer Geltendmachung im Falle eines streitigen Betriebsübergangs.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Eine Kündigung muss als empfangsbedürftige rechtsgestaltende Willenserklärung so bestimmt sein, dass der Empfänger Klarheit über die Absichten des Kündigenden erhält. Der Kündigungsadressat muss erkennen können, zu welchem Zeitpunkt das Arbeitsverhältnis aus Sicht des Kündigenden beendet sein soll. Bei der Auslegung einer Willenserklärung ist nicht allein auf ihren Wortlaut abzustellen. Zu würdigen sind alle Begleitumstände, die dem Erklärungsempfänger bekannt waren und die für die Frage erheblich sein können, welchen Willen der Erklärende bei Abgabe der Erklärung hatte.

2. Nach seinem räumlichen Geltungsbereich erfasst § 23 KSchG grundsätzlich nur inländische Betriebe. Dies ergibt sich aus einer am Wortlaut, an der Systematik und an der Entstehungsgeschichte sowie am Sinn und Zweck des § 23 KSchG orientierten Auslegung.

3. Die Anwendbarkeit des KSchG auf einen ausländischen Standort eines Luftverkehrsunternehmens kann sich aber aus einer verfassungskonformen Auslegung der §§ 23, 24 Abs. 2 KSchG im Licht von Art. 12 GG ergeben. Ein Luftverkehrsbetrieb nach § 24 KSchG kann deshalb dem KSchG unterliegen, auch wenn der maßgebliche Leitungsapparat sich im Ausland befindet.

4. In einer einseitigen Freistellungserklärung ist regelmäßig die Erklärung zu sehen, die Annahme der vom Arbeitnehmer geschuldeten Arbeitsleistung werde abgelehnt. Durch diese Erklärung gerät der Arbeitgeber gemäß § 293 BGB in Annahmeverzug.

 

Normenkette

EUVO 1215/2012 Art. 20 Abs. 1, Art. 21 Abs. 1, Art. 66 Abs. 1; EGV 593/2008 (Rom I-VO) v. 17.06.2008 Art. 3 Abs. 1, Art. 2, 5, 8 Abs. 1-2, Art. 10 Abs. 2; RL 98/59/EG; RL 2001/23/EG; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1; BGB § 305 Abs. 1, § 305c Abs. 2, § 307 Abs. 1, § 611a Abs. 2, §§ 615, 613a Abs. 1; KSchG § 1 Abs. 1-3, §§ 6, 17 Abs. 1, 3, §§ 23-24; ZPO §§ 61, 62 Abs. 1, §§ 256, 261 Abs. 1, 3, §§ 265, 308 Abs. 1, §§ 325, 533; KSchG § 4; BGB § 241 Abs. 2, §§ 242, 293, 623

 

Verfahrensgang

ArbG Düsseldorf (Entscheidung vom 25.02.2021; Aktenzeichen 9 Ca 5918/20)

ArbG Düsseldorf (Entscheidung vom 06.05.2021; Aktenzeichen 9 Ca 1053/21)

ArbG Düsseldorf (Entscheidung vom 01.06.2021; Aktenzeichen 4 Ca 5890/20)

 

Tenor

  1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 06.05.2021 - 9 Ca 1053/21 - teilweise abgeändert und die Beklagte zu 1) verurteilt,

    1. an den Kläger für November 2020 1.629,94 Euro brutto nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 04.01.2021 zu zahlen;
    2. an den Kläger für Dezember 2020 1.382,80 Euro brutto nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 02.02.2021 zu zahlen;
  2. Die weitergehende Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 06.05.2021 - 9 Ca 1053/21 -, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 25.02.2021 - 9 Ca 5918/20 und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 01.06.2021 - 4 Ca 5890/20 - werden zurückgewiesen.
  3. Die Kosten des Berufungsverfahre...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge