Entscheidungsstichwort (Thema)

Wirksamkeit der betriebsbedingten Kündigung bei unmittelbarer Nachbesetzung des betroffenen Arbeitsplatzes. Bindungswirkung der Formulierung "betriebsbedingte Gründe" im Kündigungsschreiben. Betriebsbedingte Kündigung außerhalb des KSchG im Kleinbetrieb. Sitten- oder treuwidrige Kündigung im Kleinbetrieb aus betriebsbedingten Gründen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Kündigt der Arbeitgeber im Kleinbetrieb ein Arbeitsverhältnis ordentlich mit der ausdrücklichen Angabe, dass die Kündigung "aus betriebsbedingten Gründen" erfolge, wird damit noch nicht zum Ausdruck gebracht, dass der Kündigung "dringende betriebliche Erfordernisse" im Sinne des - hier gar nicht anwendbaren - § 1 Abs. 2 KSchG zugrunde lägen.

2. Daher begründet die pauschale Nennung "betriebsbedingter Gründe" im Kündigungsschreiben weder eine Selbstbindung des Arbeitgebers im Kleinbetrieb an die Anforderungen des § 1 Abs. 2 KSchG noch erweist sich die Kündigung als sitten- oder treuwidrig, wenn die Stelle unmittelbar im Zusammenhang mit der Kündigung anderweitig neu besetzt wird.

3. Die Verknüpfung einer außerhalb des Anwendungsbereichs des KSchG an sich neutralen Kündigung mit einer zwar unzutreffenden, dem Fortkommen der gekündigten Person jedoch nicht hinderlichen Kündigungsbegründung macht aus dem neutralen Rechtsgeschäft kein sitten- oder treuwidriges.

 

Normenkette

KSchG § 1 Abs. 2, § 23 Abs. 1; BGB §§ 138, 242; ArbGG § 72 Abs. 1; ZPO § 97 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Oberhausen (Entscheidung vom 16.02.2022; Aktenzeichen 3 Ca 1164/21)

 

Tenor

  • I.

    Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Oberhausen vom 16.02.2022 - Az.: 3 Ca 1164/21 - wird zurückgewiesen.

  • II.

    Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

  • III.

    Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses durch die mit Schreiben der Beklagten vom 29.10.2021 erklärte ordentliche, fristgerechte Kündigung zum 30.11.2021.

Die Klägerin war bei der Beklagten seit dem 07.09.2020 als kaufmännische Assistentin gegen ein Bruttomonatsentgelt in Höhe von 3.350,- € beschäftigt.

Mit Schreiben vom 29.10.2021 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis "fristgerecht zum 30.11.2021, hilfsweise zum nächstmöglichen Zeitpunkt aus betriebsbedingten Gründen" (Blatt 38 der Akte).

Mit Stellenausschreibungen vom 14.09.2021 und vom 11.10.2021 schrieb die Beklagte jeweils eine Stelle als "Vertriebsassistent(in) m/w/d (Vollzeit)" zur sofortigen Besetzung und mit Bewerbungsschluss zum 31.10.2021 aus. Wegen des genauen Inhalts der Ausschreibungen wird auf die Anlagen zum Schriftsatz des Klägervertreters vom 28.01.2022 (Blatt 39 ff. der Akte) Bezug genommen.

Mit ihrer am 19.11.2021 bei dem Arbeitsgericht Oberhausen eingegangenen und der Beklagten am 24.11.2021 zugestellten Kündigungsschutzklage hat die Klägerin die Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses gerichtlich angegriffen. Erstinstanzlich hat sie behauptet, die Beklagte beschäftige mehr als 10 Arbeitnehmer, und die soziale Rechtfertigung der Kündigung gerügt. Darüber hinaus hat sie die Treu- und Sittenwidrigkeit der Kündigung und deren Unwirksamkeit gemäß §§ 138, 242 BGB im Zusammenhang mit den erfolgten Ausschreibungen gerügt und behauptet, die ausgeschriebenen Stellen beträfen Tätigkeiten, die sie bisher verrichtet habe. Ersichtlich lägen damit nicht die im Kündigungsschreiben genannten "betriebsbedingten Gründe" vor. Zwar sei der Arbeitgeber im Kleinbetrieb nicht verpflichtet, Kündigungsgründe anzugeben. Gebe er solche allerdings wie hier an, müssten sie der Wahrheit entsprechen, anderenfalls verstoße die Kündigung gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden und sei damit treu- und sittenwidrig.

Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt,

  1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die ordentliche betriebsbedingte Kündigung vom 29.10.2021 nicht aufgelöst worden ist;
  2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien über den 30.11.2021 hinaus fortbesteht;
  3. die Beklagte zu verurteilen, ihr ein qualifiziertes Zwischenzeugnis zu erteilen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Ansicht vertreten, die Kündigung habe das Arbeitsverhältnis wirksam zum 30.11.2021 beendet. Das Kündigungsschutzgesetz finde keine Anwendung, da in ihrem Betrieb regelmäßig nicht mehr als 10 Arbeitnehmer beschäftigt würden. Einschließlich der Klägerin und unter Berücksichtigung von Teilzeitquoten habe sie acht Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt. Wegen der Aufstellung der einzelnen Beschäftigten wird auf den Schriftsatz der Beklagtenvertreter vom 25.11.2021 (Blatt 7 der Akte) Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht Oberhausen hat die Kündigungsschutzklage mit Urteil vom 16.02.2022 abgewiesen. Das Urteil ist der Klägerin über ihren Prozessbevollmächtigten am 21.03.2022 zugestellt worden. Sie hat mit am 11.04.2022 bei dem Landesarbeitsgericht Düsseldorf eingegangenem Anwaltsschriftsatz Berufung eingelegt, die sie - nach Verlängerung der Berufu...

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