Entscheidungsstichwort (Thema)

Abfindung nach Sozialplan bei betriebsbedingtem Ausscheiden des Arbeitnehmers. Abfindung nach Sozialplan aufgrund Betriebsstillegung im Kleinbetrieb. Darlegungs- und Beweislast des Arbeitnehmers für Anwendungsbereich des Sozialplans. Relevanz des Kündigungsgrundes für Abfindung nach Sozialplan. Auslegung von verhaltens- und betriebsbedingten Kündigungen. Keine Auswirkung eines Zeugnistextes auf Anwendungsbereich des Sozialplans

 

Leitsatz (amtlich)

1. Macht ein (Tarif-)Sozialplan ein betriebsbedingtes Ausscheiden - hier aufgrund Betriebsstilllegung - zur Voraussetzung für Abfindungsleistungen, muss die Hauptursache der Beendigung des Arbeitsverhältnisses in der betrieblichen und darf nicht in der Sphäre des Arbeitnehmers liegen. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen dieser Voraussetzung zur Eröffnung des Geltungsbereichs liegt bei dem klagenden Arbeitnehmer.

2. Für die Eröffnung des Geltungsbereichs eines Sozialplans ist in der Regel der - im Zweifel durch Auslegung der Kündigungserklärung oder über Indizien zu bestimmende - entweder betriebs- oder verhaltens-/personenbedingte Kündigungswille des Arbeitgebers maßgebend. Ob betriebsbedingte, verhaltensbedingte oder personenbedingte Gründe objektiv die Wirksamkeit einer Kündigung rechtfertigen könnten, ist für die Eröffnung des Geltungsbereichs des (Tarif)Sozialplans nicht entscheidend, es sei denn, die Kollektivvereinbarung stellte erkennbar entscheidend hierauf ab. Ansonsten gilt: Selbst die unberechtigt verhaltensbedingt ausgesprochene Kündigung wird dadurch, dass verhaltensbedingte Gründe nicht vorliegen, zu keiner betriebsbedingten Kündigung.

3. Erfolgt eine ordentliche Kündigung zwar ohne Angabe von Kündigungsgründen im Kündigungsschreiben, jedoch im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der Anhörung der Arbeitnehmerin zu verhaltensbedingten Vorwürfen und nach Ankündigung, über das Anhörungsergebnis müsse nun die Geschäftsleitung entscheiden, spricht dies indiziell stark für eine verhaltensbedingte und nicht betriebsbedingte Kündigung. Das Indiz wird noch verstärkt, wenn die betriebsbedingten Kündigungen der übrigen Arbeitnehmer erst zwei Monate später erfolgen.

4. Wird dann Monate später, nachdem sich der Arbeitgeber zwischenzeitlich auch ausdrücklich auf verhaltensbedingte Kündigungsgründe berufen hat, dem Arbeitnehmer ein Arbeitszeugnis erteilt, in dem eine betriebsbedingte Beendigung des Arbeitsverhältnisses bescheinigt wird, führt dies zu keiner abweichenden Beurteilung mehr. Mangels begründbaren berechtigten Vertrauens kann der Zeugnisinhalt dem Arbeitgeber in einem solchen Fall auch nicht mit der Begründung widersprüchlichen Verhaltens erfolgreich hinsichtlich der Streitfrage der Eröffnung des Geltungsbereichs des (Tarif)Sozialplans entgegengehalten werden.

 

Normenkette

TVG §§ 2-4; BGB §§ 133, 242; KSchG §§ 1, 23; BetrVG § 112 Abs. 1; ZPO § 97 Abs. 1, § 520 Abs. 3 S. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Essen (Entscheidung vom 28.07.2021; Aktenzeichen 6 Ca 419/21)

 

Tenor

  • I.

    Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Essen vom 28.07.2021 - Az.: 6 Ca 419/21 - wird zurückgewiesen.

  • II.

    Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

  • III.

    Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über den Anspruch der Klägerin auf Zahlung einer Sozialplanabfindung in Höhe von 124.410,06 € brutto.

Die D. Theater Produktionsgesellschaft mbH betrieb bis 30.06.2020 in F. das N.-Theater und W. haus D.. Die Klägerin, geboren am 16.05.1965 und verheiratet, war dort seit dem 01.08.2000 in einem Arbeitsverhältnis, zuletzt als Leiterin Event Ruhr beschäftigt. Seit dem 01.01.2020 ist sie Mitglied der Gewerkschaft ver.di.

Die D. Theater Produktionsgesellschaft mbH schloss am 27.09.2009 mit der Gewerkschaft ver.di einen "Manteltarifvertrag Alle" (im Folgenden: "MTV 2009"), wegen dessen Inhalts auf die Anlage K7 (Blatt 34 ff. der Akte) Bezug genommen wird und der Rahmenregelungen für den Ausspruch betriebsbedingter Kündigungen enthielt. Gemäß § 28 MTV 2009 erhielten Beschäftigte, die betriebsbedingt aus der Gesellschaft ausscheiden, eine Abfindung von 0,5 Bruttomonatsgehältern pro Jahr der Betriebszugehörigkeit sowie ab einem Alter von 35 Jahren einen weiteren Betrag von 1.000,00 € brutto für jedes weitere angefangene Lebensjahr und für jedes kindergeldberechtigte Kind einen Betrag von 1.535,00 € brutto. Am 03.05.2012 schloss die D. Theater Produktionsgesellschaft mbH mit der Gewerkschaft ver.di einen neuen "Manteltarifvertrag Alle" ab (im Folgenden: "MTV 2012"), wegen dessen Inhalts auf die Anlage B2 (Blatt 143 ff. der Akte) Bezug genommen wird und in dem die Formulierung des § 28 im Wesentlichen und insbesondere zu der Anspruchsvoraussetzung des betriebsbedingten Ausscheidens aus der Gesellschaft unverändert geblieben ist. Darüber hinaus schlossen unter anderem die D. Theater Produktionsgesellschaft mbH einerseits und die Gewerkschaft ver.di andererseits am 13.07.2018 eine "Tarifeinigung" ab, wegen deren Inhal...

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