Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebsbegriff

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine Kfz-Werkstatt in Bremerhaven, deren Alltagsgeschäfte von einem Werkstattleiter geleitet werden, ist auch dann nicht als eigenständiger Betriebsteil i. S. von § 4 Abs. 1 Ziff. 2 BetrVG anzusehen, wenn dieser befugt ist, Arbeitnehmer einzustellen, soweit er hierfür an Vorgaben des „Stammhauses” in Bremen gebunden ist.

2. Eine räumlich weite Entfernung zwischen „Stammhaus” und Werkstatt ist i. S. von § 4 Abs. 1 Ziff. 1 BetrVG nicht anzunehmen, wenn die zwischen beiden liegende Entfernung von 70 km wegen nahegelegenen Autobahnauffahrt schnell zu überbrücken ist. Zufällige Verzögerungen durch Baustellen und/oder Berufsverkehr fallen nicht ins Gewicht. Die deutlich längere Fahrzeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln ist wegen des inzwischen erreichten Niveaus der allgemeinen Motorisierung unerheblich. Ob beide Belegschaften sich als Teil einer Betriebsgemeinschaft fühlen, hat keine entscheidende Bedeutung.

3. Der Betriebsrat des „Stammhauses” ist bei einer betriebsbedingten Kündigung wegen Stilllegung einer Werkstatt nach § 102 BetrVG zu beteiligen, auch wenn die Mitarbeiter von den Möglichkeiten des i. S. von § 4 Abs. 2 BetrVG keinen Gebrauch gemacht haben.

 

Normenkette

BetrVG §§ 4, 102

 

Verfahrensgang

ArbG Bremerhaven (Urteil vom 06.03.2003; Aktenzeichen 1 Ca 767/02)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 03.06.2004; Aktenzeichen 2 AZR 577/03)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers hin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Bremerhaven vom 06.03.2003 – Az: 1 Ca 767/02 – abgeändert:

Es wird festgestellt, dass die Kündigung vom 13.11.2002 das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht zum 30.06.2003 beendet hat.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer ordentlichen, betriebsbedingten Kündigung. Umstritten ist u. a., ob die Beklagte gehalten war, das Verfahren nach § 102 BetrVG durchzuführen.

Der Kläger arbeitet seit dem 01.04.1966 als Kfz-Mechaniker bei der Beklagten, zuletzt zu einem Bruttomonatsgehalt in Höhe von EUR 2.366,57. Die Einstellung des Klägers erfolgte für den Standort Bremerhaven. Ein schriftlicher Arbeitsvertrag besteht zwischen den Parteien nicht. Der Kläger arbeitete ausschließlich in Bremerhaven.

Die Beklagte betreibt Autohäuser, die überwiegend Nutzfahrzeuge verkaufen und reparieren. Der Hauptbetrieb der Beklagten ist in Bremen. Die Beklagte war Vertragshändler der Firmen I. und F. und Vertragswerkstatt der Firma S.. Die Beklagte betreibt Standorte in Bremerhaven und Verden. Den Standort Diepholz schloss die Beklagte zum 01.01.2002. Am Standort Bremerhaven beschäftigte die Beklagte 12 Arbeitnehmer. Dort ist kein eigener Betriebsrat gewählt worden. Am Standort Bremen besteht seit Jahren ein Betriebsrat. Die Arbeitnehmer des Standortes Bremerhaven beteiligten sich nicht an dessen Wahl. Sie wurden auch nicht zu Betriebsversammlungen oder Ähnlichem nach Bremen eingeladen. Eine nennenswerte Fluktuation von Arbeitnehmern zwischen den Betriebsstätten Bremerhaven und Bremen bestand nicht. Teilweise arbeiteten Arbeitnehmer aber zur Urlaubsvertretung wechselseitig in den Betriebsstätten. Zum Teil wurden Reparaturen ausschließlich in Bremen durchgeführt, da dort spezielle Gerätschaften und Werkzeuge vorhanden waren, die auch auf Grund der Anschaffungskosten nicht für Bremerhaven angeschafft wurden. Für spezielle Arbeiten kamen zum Teil auch Arbeitnehmer aus Bremen nach Bremerhaven, da sie über besondere Gerätschaften und Kenntnisse verfügten, die für diese Tätigkeiten erforderlich waren.

Der Standort Bremerhaven unterstand der Leitung des Werkstattleiters K.. Dieser stellte in der Vergangenheit auch Arbeitnehmer für den Standort Bremerhaven in Absprache mit der Geschäftsleitung aus Bremen ein. Der Geschäftsleitung Bremen oblag dabei die generelle Personalplanung und die Zuweisung einer entsprechenden Planstelle. Das Auswahlverfahren der Bewerber nahm dann der Werkstattleiter K. vor. Dieser war u.a. auch für die Urlaubsgewährung der Arbeitnehmer in Bremerhaven zuständig. Die Beklagte hat durch Hausmitteilung vom 06.04.1995 die Anzahl der in Bremerhaven auf Grund der Kostensituation für Bremen und die Filialen Bremerhaven, Diepholz und Verden einzustellenden Auszubildenden festgesetzt und angeordnet, dass darauf zu achten ist, dass die Bewerber einen Notendurchschnitt von mindestens 3,5 im Schulabschlusszeugnis haben müssten. Die Arbeitnehmer des Standortes Bremerhaven erhielten keine direkten Weisungen durch die Geschäftsleitung in Bremen.

In Bremerhaven betreibt die Beklagte im Wesentlichen einen Werkstattbetrieb und Ersatzteilverkauf. Die hierfür erforderliche Bedarfsplanung, wie etwa die Bestellung von Waren, erfolgt in Bremen. Dort ist auch die Buchhaltung und Personalaktenverwaltung angesiedelt. Für Bürotätigkeiten am Standort Bremerhaven beschäftigt die Beklagte, neben dem Werkstattleiter Herrn K., Frau W..

Die Beklagte plante umfangreiche Umstrukturierungsmaßnahmen, um ein...

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