Entscheidungsstichwort (Thema)

Anfechtung einer Aufhebungsvereinbarung wegen widerrechtlicher Drohung mit außerordentlicher Kündigung. Arbeitszeitbetrug wegen Umziehen innerhalb der Arbeitszeit. Entbehrlichkeit der Abmahnung bei langem Arbeitsverhältnis

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Aufhebungsvereinbarung ist nichtig, da sie erfolgreich wegen widerrechtlicher Drohung mit einer außerordentlichen Kündigung angefochten wurde. Es lag kein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB vor, von dem jedenfalls der Arbeitgeber berechtigt ausgehen durfte, dass er einer gerichtlichen Überprüfung stand hält.

2. Ein Arbeitszeitbetrug kann bei wiederholtem Umziehen schon während der Arbeitszeit gegeben sein. Dies muss aber der Arbeitgeber hinreichend aufklären, auch im Hinblick auf die Erheblichkeit der Pflichtverletzung.

3. Bei einem schon über zwanzig Jahre andauernden Arbeitsverhältnis ist eine Abmahnung nicht entbehrlich, wenn eine Verhaltensänderung erwartet werden kann.

 

Normenkette

BGB §§ 123, 142, 626 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Brandenburg (Entscheidung vom 05.05.2021; Aktenzeichen 3 Ca 832/20)

 

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Brandenburg an der Havel vom 05. Mai 2021 - 3 Ca 832/20 - teilweise abgeändert und festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht zum 31.12.2020 aufgelöst worden ist.

II. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des vorliegenden Rechtsstreits zu unveränderten Arbeitsbedingungen gemäß den Regelungen des Arbeitsvertrages vom 03. Juli 2002 weiter zu beschäftigen.

III. Die weitergehende Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.

IV. Von den Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger ¼, die Beklagte ¾.

V. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit eines Aufhebungsvertrages, hilfsweise über die Neubegründung des Arbeitsverhältnisses und einen Anspruch des Klägers auf Beschäftigung.

Der am .... 1978 geborene, ledige Kläger ist seit Juli 2000 bei der Beklagten als Wäscher/Transporter beschäftigt. Grundlage des Arbeitsverhältnisses ist der Arbeitsvertrag vom 3. Juli 2000 (Bl. 17 und 18 d.A.) nebst Änderungsvereinbarung vom 6. Juni 2002 (Bl. 19 d.A.). Im Arbeitsvertrag sind die Tarifverträge des Verbandes der Metall- und Elektroindustrie in Berlin und Brandenburg e.V. für das Tarifgebiet Berlin und Brandenburg in Bezug genommen.

Der Kläger arbeitet in einem Drei-Schichtsystem. Zur Erfassung seiner Arbeitszeit ist der Kläger verpflichtet, Beginn der Arbeitszeit nach dem Umkleiden und Ende der Arbeitszeit vor dem Umkleiden an einem Zeiterfassungsterminal zu buchen, das die Beklagte zu diesem Zweck vorhält und das sich außerhalb des Umkleideraums im Arbeitsbereich befindet. Umkleidezeiten zählen bei der Beklagten nicht zur Arbeitszeit. In den Umkleideräumen befinden sich auch Toiletten. Toilettengänge werden nicht gesondert im Zeiterfassungssystem gebucht. Zum Betreten der Umkleideräume von den Arbeitsplätzen aus, müssen die Mitarbeiter die Tür mit ihrer Zeiterfassungkarte öffnen. Dadurch wird die Uhrzeit, zu der der Umkleideraum betreten wird, elektronisch erfasst. Für das Verlassen der Umkleideräume bedarf es der Karte nicht, diese Zeiten werden nicht dokumentiert.

Nachdem die Beklagte Hinweise erhalten hatte, der Kläger buche Umkleidezeiten als Arbeitszeit, las die Beklagte mit Zustimmung des Betriebsrats die vom Kartenlesegerät erfassten Daten des Klägers am Eingang des Umkleideraums sowie am Zeiterfassungsterminal für den Zeitraum vom 1. Oktober 2020 bis 17. November 2020 aus. Ob dies am 18. November 2020 geschah - so die Beklagte - ist zwischen den Parteien streitig. Bei dieser Kontrolle stellte die Beklagte fest, dass der Kläger in diesem Zeitraum 13mal zwischen mindestens 14 und höchstens 29 Minuten vor dem gebuchten Arbeitsende den Umkleideraum aufgesucht hat. Für die Daten im Einzelnen wird auf den Schriftsatz der Beklagten vom 4. Februar 2021 (Bl. 62 d.A.) Bezug genommen. In der Zeit vom 2. - 13. November 2020 war der Kläger nicht im Betrieb.

Am 25. November 2020 fand im Beisein eines Betriebsratsmitglieds zwischen dem Fertigungsleiter, dem Personalleiter und dem Kläger ein Gespräch über diese Feststellungen der Beklagten statt, dessen genauer Inhalt zwischen den Parteien streitig ist. Insbesondere ist streitig, ob der Kläger sich dahingehend eingelassen hat, er habe die Umkleideräume aufgesucht, um auf die Toilette zu gehen, sei danach wieder an seinen Arbeitsplatz zurückgekehrt - so der Kläger - oder ob der Kläger für das Aufsuchen des Umkleideraums kurz vor Arbeitszeitende keine Erklärung abgegeben hat - so die Beklagte. Die Beklagte, die anhand der ausgelesenen Daten und des Gesprächs davon ausging, der Kläger habe sie über die von ihm geleistete Arbeitszeit getäuscht und das Arbeitszeiterfassungsterminal erst nach dem Umkleiden bedient, hörte mit Schreiben vom 26. November 2020 den bei ihr gebildeten Betriebsrat zu einer außerordentlichen, hilfsweis...

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