Entscheidungsstichwort (Thema)

Benachteiligung bei der Stellenbewerbung. Fehlende Indizwirkung eines Verstoßes gegen vorgelagerte Prüf- und Meldepflicht nach Schwerbehindertenrecht bei Einbeziehung in das Auswahlverfahren. Unbegründete Entschädigungsklage wegen Benachteiligung aufgrund Behinderung bei unsubstantiierten Darlegungen zur Kausalität zwischen Nichtberücksichtigung und Behinderung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Zur Kausalität zwischen Nachteil und verbotenem Merkmal enthält § 22 AGG eine Beweislastregelung, die sich auch auf die Darlegungslast auswirkt: Beschäftigte genügen ihrer Darlegungslast, wenn sie Indizien vortragen, die ihre Benachteiligung wegen eines verbotenen Merkmals vermuten lassen, was der Fall ist, wenn die vorgetragenen Tatsachen aus objektiver Sicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen, dass die Benachteiligung wegen dieses Merkmals erfolgt ist; nach den Vorgaben des § 22 AGG reichen dazu Hilfstatsachen aus, die zwar nicht zwingend den Schluss auf die Kausalität zulassen, jedoch die Annahme rechtfertigen, dass diese gegeben ist.

2. Werden Hilfstatsachen vorgetragen, die für sich genommen nicht zur Begründung der Vermutungswirkung ausreichen, ist vom Tatgericht im Rahmen einer Gesamtbetrachtung zu prüfen, ob die Hilfstatsachen im Zusammenhang gesehen geeignet sind, die Vermutungswirkung zu begründen; liegt eine Vermutung für die Benachteiligung vor, trägt nach § 22 AGG die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat.

3. Die dem eigentlichen Auswahlverfahren vorgelagerte Verletzung der Prüf- und Meldepflicht nach § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB IX begründet keine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, dass die nach Durchführung des Auswahlverfahrens getroffene konkrete Auswahlentscheidung zu Lasten des Stellenbewerbers auf dem Merkmal der Behinderung beruhte, wenn die Benachteiligung des Stellenbewerbers nicht darin liegt, dass er von vorneherein nicht in das Bewerbungsverfahren einbezogen und ihm damit eine Chance versagt worden ist, die öffentliche Arbeitgeberin von seiner Eignung und Befähigung zu überzeugen, sondern die weniger günstige Behandlung darin besteht, dass die Auswahlentscheidung der Arbeitgeberin, die jeweils nach Abschluss der für die ausgeschriebenen Stellen geführten Bewerbergespräche getroffen wurde, nicht auf ihn gefallen ist.

4. Hat die Arbeitgeberin den behinderten Stellenbewerber in Übereinstimmung mit § 82 Abs. 1 SGB IX in das jeweilige Auswahlverfahren für beide Stellen einbezogen, hat dieser die Möglichkeit erhalten, die Arbeitgeberin im Bewerbungsgespräch und gegebenenfalls auch durch Teilnahme an Tests von seiner persönlichen Eignung und Befähigung für die Stellen im Sinne des § 33 Abs. 2 GG zu überzeugen.

5. Bei der Würdigung des Verhaltens der Arbeitgeberin für eine etwaige Indizwirkung ist auch der Umstand zu berücksichtigen, dass nicht nur bei der Durchführung aller Bewerbungsgespräche jeweils ein Mitglied der Schwerbehindertenvertretung anwesend war sondern dass die Entscheidung über die Auswahl von drei Bewerbern für zwei Stellen sogar im Beisein eines Mitglieds der Schwerbehindertenvertretung getroffen wurde und die Arbeitgeberin damit die Schwerbehindertenvertretung nicht erst gemäß § 81 Abs. 1 Satz 9 SGB IX nachträglich über die getroffene Entscheidung unter Darlegung der Gründe unverzüglich unterrichtet hat sondern diese schon in den Ablauf der Auswahlentscheidung selbst mit einbezogen war.

 

Normenkette

AGG § 3 Abs. 1, § 7 Abs. 1, § 22; SGB IX § 81 Abs. 2 Sätze 1-2; GG § 33 Abs. 2; AGG § 15 Abs. 2; SGB IX § 81 Abs. 1 S. 9, § 82 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Entscheidung vom 30.08.2012; Aktenzeichen 59 Ca 2570/12)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 30. August 2012 - 59 Ca 2570/12 - teilweise abgeändert.

Die Klage wird insgesamt abgewiesen.

2. Die Anschlussberufung des Klägers wird zurückgewiesen.

3. Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.

4. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über einen Entschädigungsanspruch des Klägers wegen einer Benachteiligung aufgrund seiner Behinderung bei zwei Bewerbungen.

Der 1983 geborene Kläger absolvierte ein Diplomstudium der Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation sowie ein englischsprachiges Masterstudium der Businessadministration in Island. Während seines Studiums war der Kläger als Tutor an der Universität beschäftigt und führte studieninhaltliche Beratung für Studierende durch. Im Jahr 2006 leitete er das Projekt "BruttoSozialPreis" des Berliner K. e. V. Hierbei handelte es sich um einen Studentenwettbewerb für Sozialmarketing. Seit Januar 2009 arbeitete der Kläger als freiberuflicher Kommunikationsberater. Er ist u.a. infolge einer Gehbehinderung schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 100 %.

Die Beklagte - eine Universität - schrieb Ende Oktober 2011 für das von ihr unterhaltene "Zentrum für E." der Abteilung Grü...

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