Entscheidungsstichwort (Thema)

Tatkündigung wegen versuchten Prozessbetrugs: Erhebung einer Schadenersatz- und Schmerzensgeldklage gegen den Arbeitgeber unter Verschweigen des wirklichen Lebenssachverhalts

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Bei Erhebung einer Schadenersatz- und Schmerzensgeldklage gegen den Arbeitgeber unter Verschweigen des wirklichen Lebenssachverhalts stellt der darin liegende (versuchte) Prozessbetrug einen wichtigen Grund für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses nach § 626 Abs. 1 BGB dar.

2. Kündigungsgründe, die bei Ausspruch der Kündigung bereits entstanden waren, dem Arbeitgeber aber erst später bekannt geworden sind, können auch bei bestehendem Betriebsrat im Kündigungsschutzprozess nachgeschoben werden, wenn der Arbeitgeber den Betriebsrat zuvor hierzu erneut angehört hat.

3. Eine Anhörung des Arbeitnehmers vor Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung als Tatkündigung ist keine Wirksamkeitsvoraussetzung. Das gilt auch vor dem Nachschieben von Gründen zur Rechtfertigung einer Tatkündigung.

4. Bei schweren Vertragsverletzungen, wenn dem Arbeitnehmer die Pflichtwidrigkeit seines Verhaltens ohne Weiteres erkennbar war und er mit der Billigung seines Verhaltens durch den Arbeitgeber nicht rechnen konnte, ist eine Abmahnung entbehrlich.

 

Normenkette

BGB § 626 Abs. 1-2, § 314; BetrVG § 102 Abs. 1; SGB IX § 85 ff.; ZPO § 85

 

Verfahrensgang

ArbG Stuttgart (Urteil vom 05.09.2006; Aktenzeichen 28 Ca 10360/05)

 

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen dasUrteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom05.09.2006 – 28 Ca 10360/05 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen verhaltensbedingten sowohl als Tat- als auch als Verdachtskündigung ausgesprochenen Kündigung der Beklagten vom 18.10.2005.

Wegen des erstinstanzlichen unstreitigen und streitigen Vorbringens der Parteien einschließlich ihrer Rechtsansichten wird auf den ausführlichen und nicht angegriffenen Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Bezug genommen.

Mit Urteil vom 05.09.2006 wies das Arbeitsgericht die Kündigungsschutzklage des Klägers im Wesentlichen mit der Begründung zurück, die außerordentliche Kündigung der Beklagten sei wegen des dringenden Verdachtes des versuchten Prozessbetruges zum Nachteil der Beklagten rechtswirksam. Es bestehe nämlich gegen den Kläger der dringende Verdacht, dass er selbst den Vorfall am 12.07.2004 dadurch ermöglicht habe, dass er entweder dem Gärtner selbst einen Schlüssel ausgehändigt oder wenigstens davon gewusst habe, dass der Gärtner über einen eigenen Schlüssel für die Vergitterung der Küchentür verfüge. Dies ergebe sich zur Überzeugung der Kammer nach der Beweisaufnahme aus den Angaben des Zeugen W.. Wegen der Einzelheiten der Begründung des Arbeitsgerichts wird auf seine Entscheidungsgründe unter A II 7 und 8, III einschließlich der Sitzungsniederschrift über die Zeugenvernehmung vom 15.08.2006 verwiesen.

Gegen das dem Kläger am 08.09.2006 zugestellte Urteil legte dieser mit beim Berufungsgericht am 22.09.2006 eingegangenem Schriftsatz vom selben Tag Berufung ein und führte sie innerhalb der mit Verfügung vom 26.10.2006 bis zum 22.11.2006 verlängerten Berufungsbegründungsfrist mit beim Landesarbeitsgericht am 08.11.2006 eingegangenem Schriftsatz aus.

Der Kläger rügt näher bestimmt fehlerhafte Rechtsanwendung des Arbeitsgerichts und ist insoweit der Ansicht, die Anhörung des Betriebsrates vom 17.10.2005 sei fehlerhaft. Insbesondere seien dem Betriebsrat auch die für die Wahrung der Ausschlussfrist des § 626 Absatz 2 BGB maßgebenden Umstände bekannt zu geben. Auch die Anhörung des Klägers am 13.10.2005 vor Ausspruch der außerordentlichen Kündigung, die sowohl Wirksamkeitsvoraussetzung für die Verdachtskündigung, aber auch entsprechend der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 02.02.2006 (2 AZR 57/05) für die Tatkündigung geboten sei, sei von Rechts wegen insofern zu beanstanden, als die Beklagte der Behauptung des Klägers, für den Vorwurf betreffend den Komplex „Bootsanhänger” stünden ihm Zeugen und für den Vorwurf betreffend den Komplex „Brillen” stünden ihm Belege zur Verfügung, nicht nachgegangen sei. Im Übrigen bestreitet der Kläger im Wesentlichen auch näher bestimmt den inhaltlichen Ablauf der Anhörung (vergleiche Beweisbeschluss vom 25.05.2007). Die Kündigung sei auch deswegen rechtsunwirksam, weil er vor Anhörung des Betriebsrates auch zu dem nach Ausspruch der Kündigung bekannt gewordenen und deshalb nachgeschobenen Kündigungsgrund betreffend die Behauptung des Zeugen W., er, der Kläger, habe seinem Gärtner einen Schlüssel selbst ausgehändigt, hätte vorher angehört werden müssen. Die Beklagte hätte ihn auch vor Ausspruch der Kündigung abmahnen müssen. Sie hätte ihm im Rahmen einer Abmahnung die Gelegenheit geben können, den von der Beklagten als falsch bewerteten Prozessvortrag im Verfahren 31 Ca 7687/05 zu korrigieren. Dies verlange im Übrigen auch § 314 Absatz 2 BGB, der für den Bereich der...

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