Leitsatz

a) Eine wirtschaftliche Verwertung ist angemessen i. S. d. § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB, wenn sie von vernünftigen, nachvollziehbaren Erwägungen getragen wird.

b) Die Beurteilung der Frage, ob dem Eigentümer durch den Fortbestand eines Mietvertrags erhebliche Nachteile entstehen und er deshalb zur Kündigung des Mietverhältnisses berechtigt ist, ist vor dem Hintergrund der Sozialpflichtigkeit des Eigentums (Art. 14 Abs. 2 GG) und damit des grundsätzlichen Bestandsinteresses des Mieters, in der bisherigen Wohnung als seinem Lebensmittelpunkt zu verbleiben, vorzunehmen. Die hierzu erforderliche Abwägung entzieht sich einer generalisierenden Betrachtung; sie lässt sich nur im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und der konkreten Situation des Vermieters treffen.

c) Ist wegen des Alters und schlechten baulichen Zustands eines Gebäudes gemessen an üblichen Wohnverhältnissen eine "Vollsanierung" oder ein Abriss mit anschließender Errichtung eines Neubaus geboten, kann ein erheblicher Nachteil des Vermieters i. S. d. § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB darin liegen, dass er anderenfalls auf notdürftige Maßnahmen ("Minimalsanierung") verwiesen ist, die weder zu einer nachhaltigen Verbesserung noch zur Verlängerung einer verhältnismäßig geringen Restlebensdauer des Gebäudes (hier 15 bis 20 Jahre) führen.

(amtliche Leitsätze des BGH)

 

Normenkette

BGB § 573 Abs. 2 Nr. 3

 

Kommentar

Die Entscheidungen betreffen ein im Jahr 1914 errichtetes Gebäude bestehend aus sechs Wohnungen mit einer Gesamtfläche von 280 qm. Die Wohnungen sind vermietet. Die nunmehrige Eigentümerin hat das Gebäude im Jahr 2005 für 653.500 EUR erworben und anschließend sämtlichen Mietern gekündigt. Sie will das Gebäude abreißen, um einen Neubau mit sechs Eigentumswohnungen (Gesamtfläche 610 qm) zu errichten. Abriss- und Baugenehmigung sind bereits erteilt. Der BGH hatte zu entscheiden, ob der Kündigungstatbestand des § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB vorliegt.

Dies wird vom BGH bejaht: Nach § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB kann der Vermieter ein Wohnraummietverhältnis kündigen, wenn er "durch die Fortsetzung des Mietverhältnisses an einer angemessenen wirtschaftlichen Verwertung des Grundstücks gehindert (ist) und dadurch erhebliche Nachteile erleiden würde".

Zu Leitsatz a)

Der BGH hat bereits mit Urteil vom 24.3.2004 (VIII ZR 188/03, NJW 2004, 1736) nebenbei entschieden, dass der Abriss eines Gebäudes als wirtschaftliche Verwertung i. S. d. § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB anzusehen ist, wenn das bisherige Gebäude durch einen Neubau ersetzt wird. Eine solche Maßnahme ist angemessen, wenn sie "von vernünftigen, nachvollziehbaren Erwägungen getragen wird". Hiervon ist auszugehen, wenn ein Erhalt des bestehenden Gebäudes unrentabel ist und einem Neubau keine Gründe des Denkmalschutzes oder sonstige bauordnungsrechtliche Hindernisse entgegenstehen.

Zu Leitsatz b)

Der Kündigungstatbestand setzt weiter voraus, dass dem Vermieter bei der Fortsetzung des Mietverhältnisses ein erheblicher Nachteil entsteht. Hierzu hat das BVerfG entschieden, dass sich aus dem Grundgesetz kein Anspruch des Grundeigentümers auf die höchstmögliche Rendite ergibt (BVerfG, Beschluss v. 9.10.1991, 1 BvR 227/91, NJW 1992, 361 unter Ziff. II 1). Anderenfalls dürfen die Einbußen des Eigentümers aber "keinen Umfang annehmen, welcher die Nachteile weit übersteigt, die dem Mieter im Falle des Verlustes der Wohnung erwachsen" (BVerfG, Urteil v. 14.2.1989, 1 BvR 1131/87, NJW 1989, 972 unter Ziff. I 1). Der BGH führt aus, dass diese verfassungsrechtliche Bewertung auch auf die Auslegung des einfachen Rechts zutrifft. Ein allgemein gültiges Kriterium zur Auslegung des Begriffs des erheblichen Nachteils existiert allerdings nicht. Vielmehr ist insoweit auf die Umstände des Einzelfalls abzustellen.

Zu Leitsatz c)

Das Landgericht hat zu den wirtschaftlichen Gegebenheiten ein Sachverständigengutachten eingeholt. Danach bestehen folgende Alternativen:

1. Durchführung einer "Minimalsanierung" (Beseitigung der Feuchtigkeit im Keller) zu einem Kostenaufwand von ca. 70.000 EUR. In diesem Fall habe das Gebäude noch eine Restlebensdauer von ca. 15-20 Jahre.

2. Durchführung einer "Vollsanierung" (Entkernung, Neugestaltung der Wohnungsgrundrisse, Erneuerung des Innenausbaus) zu einem Kostenaufwand von ca. 580.000 EUR.

3. Abriss des Gebäudes und Errichtung eines Neubaus.

Der BGH führt aus, dass der Eigentümer bei der Aufrechterhaltung der Mietverhältnisse nur die Alternative 1 verwirklichen könnte. Dies sei ihm aber nicht zuzumuten, weil diese Maßnahme weder zu einer nachhaltigen Verbesserung noch zur wesentlichen Verlängerung der Restlebensdauer des Gebäudes führt.

Weitere Gesichtspunkte

1. Der Mieter hat unter anderem geltend gemacht, dass die vom Eigentümer geplante Verwertung als "rein spekulatives, von der Eigentumsgarantie nicht geschütztes Geschäft" zu bewerten sei. Aus diesen Gründen sei die Kündigung vorliegend ausgeschlossen. Der BGH teilt diese Ansicht nicht. Die Kündigung des Erwerbers eines Anwesens ist nicht anders zu beurt...

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