Leitsatz (amtlich)

1. Wegen der besonderen Sorgfaltspflichten des Fahrstreifenwechslers haftet dieser im Falle der Kollision mit einem ordnungsgemäß überholenden Kfz grundsätzlich allein, wobei die Betriebsgefahr des Kfz des Überholers zurücktritt.

2. Die klagende Krankenversicherung des Fahrstreifenwechslers kann den gegen diesen sprechenden Anscheinsbeweis nicht allein durch Benennung von Zeugen entkräften, sondern muss einen von ihr behaupteten Hergang im Einzelnen schlüssig vortragen, wobei ihr der Versicherte und ggf. die polizeilichen Ermittlungsakten als Informationsquellen zur Verfügung stehen.

3. Eine unklare Verkehrslage, die nach § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO das Überholen verbietet, ist gegeben, wenn der Überholer nach allen Umständen mit einem ungefährdeten Überholen nicht rechnen darf; das ist insb. dann der Fall, wenn er nicht verlässlich beurteilen kann, was der Fahrer des vorausfahrenden Fahrzeugs sogleich tun werde.

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Aktenzeichen 58 O 254/08)

 

Tenor

Der Senat beabsichtigt, die Berufung durch einstimmigen Beschluss gem. § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.

 

Gründe

Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg. Der Senat folgt den im Wesentlichen zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung, die durch die Berufungsbegründung nicht entkräftet worden sind. Ergänzend wird auf Folgendes hingewiesen:

I. Nach § 513 Abs. 1 ZPO kann die Berufung nur darauf gestützt werden, dass die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO) beruht oder die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen. Beides ist nicht der Fall.

Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das LG die Klage in der angefochtenen Entscheidung als unschlüssig abgewiesen.

1. Gegen den bei der Klägerin krankenversicherten Radfahrer (im Folgenden: Versicherten) spricht der Anscheinsbeweis, da sich der Unfall unstreitig in einem örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dessen Fahrstreifenwechsel und dessen Abbiegevorgang nach links ereignet hat. Auf Grund dieses Anscheinsbeweises wird zu Lasten der Klägerin vermutet, dass der Versicherte gegen die sich für ihn aus §§ 7 und 9 StVO ergebenden besonderen Sorgfaltspflichten verstoßen hat. Aufgrund dieses (vermuteten) erheblichen Verschuldens trägt der Fahrstreifenwechsler/Abbieger seinen Schaden selbst, wenn er dem anderen einen Fahrfehler nicht nachweist. Die Betriebsgefahr des Anderen tritt hinter dem erheblichen Verschulden des Fahrstreifenwechslers/Abbiegers zurück (KG, KGReport 2005, 993 = zfs 2006, 262 = NZV 2006, 309; OLG Bremen MDR 2010, 26).

2. Diesen Anscheinsbeweis hat die Klägerin nicht entkräftet. Zutreffend geht das LG davon aus, dass die Klägerin schon nicht substantiiert dargelegt hat, dass der Versicherte die ihn als Fahrstreifenwechsler und Linksabbieger treffenden besonderen Sorgfaltspflichten erfüllt hat. Wenn die Klägerin auf S. 3 ihrer Berufungsbegründung ausführt, sie habe "erstinstanzlich durch Vernehmung der benannten Zeugen substantiiert dargelegt, dass der Versicherte die ihn ... treffenden Pflichten erfüllt hatte", verkennt sie, dass die Benennung von Zeugen und deren Vernehmung substantiierten Vortrag nicht zu ersetzen vermag. Zu einer Vernehmung von Zeugen kann es erst kommen, wenn die mit der Darlegung belastete Partei substantiiert vorgetragen hat. Die von der Klägerin gewünschte Vorgehensweise würde auf eine Erforschung des Sachverhalts im Rahmen der Beweisaufnahme und damit auf eine im Zivilprozessrecht unzulässige Amtsermittlung hinauslaufen.

Auf die von ihr zitierte Entscheidung des BGH vom 25.4.1995 (VI ZR 178/94) kann die Klägerin sich schon deshalb nicht berufen, weil ihr der Versicherte als Informationsquelle zur Verfügung steht und sie deshalb nicht auf den Vortrag von von ihr vermuteten Tatsachen angewiesen ist. Im Übrigen ist dem Inhalt der beigezogenen Ermittlungsakte, insb. der schriftlichen Zeugenaussage des Polizeihauptkommisars W vom 16.10.2006 zu entnehmen, dass der Vortrag der Klägerin zu dem Verhalten des Versicherten ohne greifbare Anhaltspunkte erfolgt.

3. Zutreffend geht das LG auch davon aus, dass ein Mitverschulden des Beklagten zu 2) an dem Unfall weder substantiiert dargelegt noch aufgrund eines Anscheinsbeweises zu vermuten ist. Entgegen der Ansicht der Klägerin lag keine unklare Verkehrslage vor, in der ein Überholvorgang unzulässig gewesen wäre. Eine unklare Verkehrslage im Sinne der Vorschrift des § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO ist nur gegeben, wenn der Fahrer des überholenden Fahrzeugs nach allen Umständen mit einem ungefährdenden Überholen nicht rechnen kann (vgl. KG NJW-RR 1987, 1251). Dies ist namentlich der Fall, wenn er nicht verlässlich beurteilen kann, was der Fahrer des vorausfahrenden Fahrzeugs sogleich tun werde. Vorliegend war aber klar, dass der vor dem Beklagten zu 2) fahrende Pkw hinter den beiden Fahrradfahren verbleiben und nach rechts abbiegen wollte. Umstände, aus denen sich ergeben könnte, dass der Beklagte zu 2) mit den groben Verkehrsverstößen des Versic...

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