Leitsatz (amtlich)

Kommt es im unmittelbaren örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem Linksabbiegen zu einer Kollision mit einem links überholenden Fahrzeug, spricht der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass der Linksabbieger seine Sorgfaltspflichten aus § 9 Abs. 1 StVO verletzt hat.

Der Fahrtrichtungsanzeiger ist dann "rechtzeitig" i.S.d. § 9 Abs. 1

Satz 1 StVO betätigt, wenn sich der Verkehr auf das Abbiegen einstellen kann: maßgeblich dafür ist weniger die Entfernung vom Abbiegepunkt als vielmehr die Zeit zwischen Anzeigebeginn und Abbiegen unter Berücksichtigung der Fahrgeschwindigkeit.

Eine "unklare Verkehrslage", die nach § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO das Überholen verbietet, liegt vor, wenn nach allen Umständen mit ungefährdetem Überholen nicht gerechnet werden darf: sie ist insbesondere dann gegeben, wenn sich nicht sicher beurteilen lässt, was Vorausfahrende sogleich tun werden; dies ist der Fall, wenn an einem vorausfahrenden oder stehenden Fahrzeug der linke Fahrtrichtungsanzeiger betätigt wird, dies der nachfolgende Verkehr erkennen konnte und dem nachfolgenden überholenden Fahrzeugführer noch ein angemessenes Reagieren - ohne Gefahrenbremsung - möglich war.

Dagegen liegt eine unklare Verkehrslage nicht schon dann vor, wenn das vorausfahrende Fahrzeug verlangsamt, selbst wenn es sich bereits etwas zur Fahrbahnmitte eingeordnet haben sollte.

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Aktenzeichen 24 O 323/07)

 

Tenor

Der Senat beabsichtigt, die Berufung durch einstimmigen Beschluss gem. § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.

 

Gründe

Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg. Der Senat folgt den im Wesentlichen zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung, die durch die Berufungsbegründung nicht entkräftet worden sind. Ergänzend wird auf Folgendes hingewiesen:

I. Nach § 513 Abs. 1 ZPO kann die Berufung nur darauf gestützt werden, dass die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO) beruht oder die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen. Beides ist nicht der Fall.

Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das LG die Klage in der angefochtenen Entscheidung abgewiesen.

1. Zutreffend geht das LG zu Lasten der Klägerin von einem Anscheinsbeweis aus. Kommt es nämlich im unmittelbaren örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem Linksabbiegen zu einer Kollision mit einem links überholenden Fahrzeug, spricht der Beweis des ersten Anscheins für eine Sorgfaltspflichtverletzung des Linksabbiegers (ständige Rechtsprechung, vgl. KG VM 1998, 34 Nr. 43; DAR 2002, 557 = VRS 103, 403 = KGReport Berlin 2003, 3 = NZV 2003, 89 = VersR 2003, 259 (Ls.) = MDR 2003, 507; MDR 2005, 806 = VRS 108, 410 = KGReport Berlin 2005, 665 = NZV 2005, 413).

Die hiergegen von der Klägerin vorgebrachten Argumente vermögen nicht zu überzeugen. Eine Beweislastumkehr greift zu Lasten der Beklagten nicht ein. Der Anscheinsbeweis ist Folge der besonderen Gefährlichkeit des Linksabbiegens, die sich weder durch das prozessuale Verhalten der Beklagten noch das Aussageverhalten des Zeugen G ändert.

2. Zutreffend geht das LG davon aus, dass es der Klägerin nicht gelungen ist, diesen Anscheinsbeweis zu entkräften. Die Beweiswürdigung durch das LG ist nicht zu beanstanden.

a) Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO hat das Berufungsgericht seiner Entscheidung die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen zugrunde zu legen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen.

Dies ist nicht der Fall, wenn sich das Gericht des ersten Rechtszuges bei der Tatsachenfeststellung an die Grundsätze der freien Beweiswürdigung des § 286 ZPO gehalten hat und das Berufungsgericht keinen Anlass sieht vom Ergebnis der Beweiswürdigung abzuweichen (KG, Urt. v. 8.1.2004 - 12 U 184/02, KGReport Berlin 2004, 269; Senat, Urt. v. 10.5.2004 - 12 U 57/03; vgl. auch KG [22. ZS], KGReport Berlin 2004, 38 = MDR 2004, 533).

§ 286 ZPO fordert den Richter auf, nach seiner freien Überzeugung zu entscheiden. Das bedeutet, dass er lediglich an Denk- und Naturgesetze sowie an Erfahrungssätze und ausnahmsweise gesetzliche Beweisregeln gebunden ist, ansonsten aber die im Prozess gewonnenen Erkenntnisse nach seiner individuellen Einschätzung bewerten darf. So darf er beispielsweise einer Partei mehr glauben als einem beeideten Zeugen oder trotz mehrerer bestätigender Zeugenaussagen das Gegenteil einer Beweisbehauptung feststellen (Zöller/Greger, ZPO, 27. Aufl. 2009, § 286 Rz. 13; Senat, Urteil vom 24.9.1998, - 12 U 4638/97; KG, NZV 2004, 355;).

Die leitenden Gründe und die wesentlichen Gesichtspunkte für seine Überzeugungsbildung hat das Gericht nachvollziehbar im Urteil darzulegen. Dabei ist es nicht erforderlich, auf jedes einzelne Parteivorbringen und Beweismittel ausführlich einzugehen; es genügt, dass nach der Gesamtheit der Gründe eine sachentsprechende Beurteilung stattgefunden hat (Thomas/Putzo, ZPO, 30. Aufl. 2009, § 286 Rz. 3, 5).

b) An diese Reg...

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