Verfahrensgang

AG Berlin-Neukölln (Aktenzeichen 60 VI G 356/17)

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 1) wird der Beschluss des Amtsgerichts Neukölln als Nachlassgericht vom 31. Mai 2018 geändert:

Es wird festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Erteilung eines Erbscheins vorliegen, der die Beteiligte zu 1) als Alleinerbin nach der Erblasserin ausweist.

Von der Erhebung von Gerichtskosten wird abgesehen. Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten findet nicht statt. Der Wert für die Berechnung anwaltlicher Gebühren wird auf 53.000,- EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Beteiligte zu 1) begehrt die Erteilung eines Erbscheins, der sie als Alleinerbin der Erblasserin auf Grund eines gemeinschaftlichen Testamentes, das die Erblasserin gemeinsam mit ihrem Ehemann am 1. Mai 1994 handschriftlich niederlegte, ausweist.

Das gemeinschaftliche Testament der Eheleute lautet wie folgt:

"Unser letzter Wille

Wir die Eheleute ... setzen uns gegenseitig zum Erben ein. Sollten wir beide zur gleichen Zeit sterben, so erbt den gesamten Schmuck Frau B... V... ... . Alles andere was wir besitzen erbt Frau M... V... ... ... ."

Die Letztgenannte ist die Antragstellerin. B... V... ist ihre Mutter. Deren Mutter war mit dem Bruder A... des Ehemannes der Erblasserin verheiratet. Sie ist die Stieftochter des Bruders A... . Die Erblasserin und ihr Ehemann hatten keine Kinder. Die Antragstellerin und ihre Mutter hatten einen engen Kontakt zu den Eheleuten. Die Antragstellerin war Vertrauensperson der Erblasserin und in deren Vorsorgevollmacht (Bl. 24 ff. d. A.) und Patientenverfügung (Bl. 28 ff. d. A.) eingesetzt.

Die Antragstellerin beantragt die Erteilung eines Erbscheins, der sie als Alleinerbin der Erblasserin ausweisen soll.

Sie vertritt die Auffassung, die Eheleute hätten bei der Errichtung des Testamentes den Willen gehabt, die Antragstellerin zur Schlusserbin des Längstlebenden einzusetzen und dies nicht nur für den Fall des gleichzeitigen Versterbens der Eheleute. Diesen Willen hätten sie mehrfach gegenüber Zeugen nach der Testamentserrichtung geäußert.

Das Nachlassgericht hat Beweis erhoben über entsprechende Äußerungen der Eheleute nach der Testamentserrichtung durch Vernehmung der Zeugen H... und B... R... sowie B... V... . Zum Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 25. April 2018 (Bl. 85 f. d. A.) verwiesen.

Das Nachlassgericht hat den Erbscheinsantrag zurückgewiesen und hierzu im Ergebnis ausgeführt, die Beweisaufnahme habe gezeigt, dass die Eheleute davon ausgegangen sind, mit dem Testament eine Regelung getroffen zu haben, nach der die Antragstellerin nach dem Tod der Eheleute deren Erbin werde. Dieser Wille sei jedoch im Testament nicht angedeutet und damit nicht formwirksam erklärt worden. Zu den Einzelheiten der Begründung wird auf den Beschluss vom 31. Mai 2018 verwiesen.

Gegen diesen Beschluss wendet sich die Antragstellerin mit ihrer Beschwerde, mit der sie ihren Rechtsstandpunkt weiter verfolgt.

Das Nachlassgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Senat vorgelegt.

II. Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin ist begründet. Der angefochtene Beschluss ist zu ändern. Die Voraussetzungen für die Erteilung eines Erbscheins mit dem Inhalt liegen vor, wonach die Antragstellerin Alleinerbin der Erblasserin auf Grund des gemeinschaftlichen Testaments der Eheleute vom 1. Mai 1994 geworden ist. Dies ergibt eine Auslegung des gemeinschaftlichen Testamentes.

1) Gemäß § 133 BGB ist bei der Auslegung der wirkliche Wille des Erblassers zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften. Dieser Aufgabe kann der Richter nur dann voll gerecht werden, wenn er sich nicht auf eine Analyse des Wortlauts beschränkt. Es geht dabei nicht um die Ermittlung eines von der Erklärung losgelösten Willens des Erblassers, sondern um die Klärung der forensisch im Vordergrund stehenden Frage, was der Erblasser mit seinen Worten habe sagen wollen. Die Erforschung dieses wirklichen Willens des Erblassers (beim gemeinschaftlichen Testament: der Erblasser) ist dem Richter durch § 133 BGB aufgetragen. Der Wortsinn der benutzten Ausdrücke muss gewissermaßen "hinterfragt" werden, wenn dem wirklichen Willen des Erblassers Rechnung getragen werden soll (BGH, Urteil vom 28. Januar 1987 - IVa ZR 191/85 -, Rn. 17, juris). Es müssen daher der gesamte Text der Verfügung und auch alle dem Richter zugänglichen Umstände außerhalb der Testamentsurkunde ausgewertet werden, die zur Aufdeckung des Erblasserwillens möglicherweise dienlich sind (vgl. BGH, a. a. O.). Hierzu gehören unter anderem die Vermögens- und Familienverhältnisse des Erblassers, seine Beziehungen zu den Bedachten und seine Zielvorstellungen. Auch können weitere Schriftstücke des Erblassers oder die Auffassung der Beteiligten nach dem Erbfall von dem Inhalt des Testaments Anhaltspunkte für den Willen des Erblassers geben. Steht der Erblasserwille fest und ist er formgerecht erklärt, geht er jeder anderen Interpretation, die der Wortlaut ...

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