Entscheidungsstichwort (Thema)

Vollwaisenrente nach Tod der Mutter. Aussageverweigerungsrecht naher Angehöriger über den Namen des Erzeugers eines Kindes. Auskunftsklage gegen Vormund

 

Leitsatz (amtlich)

1.) Ein nichtehelich geborenes Kind kann beim Tod der versicherten Mutter nur dann Vollwaisenrente beanspruchen, wenn sein Vater nicht bekannt und auch nicht mit Aussicht auf Erfolg zu ermitteln ist (im Anschluß an BSG vom 15.03.1988, Az.: 4/11 a RA 50/87).

2.) Eine solche Möglichkeit besteht, wenn der ehemalige Vormund der Waise den Namen des Vaters kennt, weil das nichtehelich geborene Kind seinen verfassungsrechtlich garantierten Anspruch auf Kenntnis der eigenen Abstammung im Wege der Auskunftsklage vor den Zivilgerichten geltend machen kann.

 

Normenkette

AVG § 44 Abs. 1, § 46; RVO § 1267 Abs. 1, § 1269; ZPO § 383 Abs. 1 Nr. 3, § 385; GG Art. 2 Abs. 1, Art. 6 Abs. 5

 

Verfahrensgang

SG Kassel (Urteil vom 04.02.1983; Aktenzeichen S - 2/An - 59/82)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 4. Februar 1983 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Bewilligung einer Vollwaisenrente.

Die Klägerin ist das am 18. November 1957 nichtehelich geborene Kind der im Juli 1967 verstorbenen Versicherten W. T.. Sie wurde von ihrer Mutter durch notariellen Vertrag vom 20. April 1961 mit Zustimmung des Vormundschaftsgerichts adoptiert. Der Name des Vaters der Klägerin ist unbekannt, da sowohl die verstorbene Versicherte als auch ihre nach deren Tod zum Vormund der Klägerin bestellte Schwester, Frau G. T., hierzu Angaben verweigerten.

Das Sozialgericht Gelsenkirchen wies durch Urteil vom 6. Februar 1968 (Az.: S-7 (1)/An-159/67) die auf Zahlung von Vollwaisenrente gerichtete Klage gegen den Halbwaisenrente bewilligenden Bescheid der Beklagten vom 5. Oktober 1967 ab. Nur wenn die Person des Erzeugers objektiv nicht mehr feststellbar sei, sei es der Versichertengemeinschaft zuzumuten, dem Kind nach dem Tod der Mutter Vollwaisenrente zu bewilligen. Wenn aber nach den eigenen Angaben des Vormunds der Klägerin der Vater bekannt sei, aber nicht genannt werde, müsse sich die Klägerin das Verhalten des Vormunds zurechnen lassen, denn ein Prozeßbeteiligter könne nicht durch Verweigerung einer allein ihm möglichen Sachaufklärung eine günstige Prozeßentscheidung erreichen.

Am 18. September 1981 beantragte die inzwischen volljährige Klägerin bei der Beklagten erneut die Bewilligung einer Vollwaisenrente. Sie habe die Unterlagen des sozialgerichtlichen Verfahrens gefunden, nach dessen Urteil sie aufgrund des Verhaltens ihrer Tante nur Halbwaisenrente erhalte. Das Wissen ihres ehemaligen Vormundes müsse sie sich jetzt nicht mehr vorhalten lassen. Da ein Vater nicht festgestellt und nach einer Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSGE 10, 189) die Vollwaisenrente an die Stelle fehlender Unterhaltsansprüche gegen den Vater trete, könne sie Vollwaisenrente beanspruchen.

Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 20. November 1981 ab. Der Rentenbescheid vom 5. Oktober 1967 sei bindend geworden. Im übrigen bleibe es dabei, daß das nichteheliche Kind, dessen Vater bekannt sei, trotz fehlender Unterhaltsansprüche nicht Vollwaise werde, solange dieser lebe. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Bescheid vom 1. April 1982 zurück. Auf Entscheidungen des Bundessozialgerichts könne sich die Klägerin nicht berufen, da bisher nicht über einen Fall entschieden worden sei, wo der Vater bekannt, aber die Feststellung der Vaterschaft unterblieben sei.

Mit ihrer hiergegen am 5. Februar 1982 beim Sozialgericht Kassel erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt und erneut vorgetragen, daß sie es nicht zu vertreten habe, wenn von Dritten die mögliche Vaterschaftsfeststellung verhindert werde. Da weder sie, noch andere Personen oder eine Behörde ihren Vater ermitteln könnten, sei sie so zu behandeln, als ob eine Vaterschaft tatsächlich nicht feststellbar sei.

Das Sozialgericht Kassel hat durch Urteil vom 4. Februar 1983 der Klage stattgegeben und die Beklagte zur Zahlung von Vollwaisenrente für die Zeit vom 1. Januar 1977 bis 30. November 1982 verurteilt. Zwar könne nicht der Tod beider Elternteile festgestellt werden, da der Name des Vaters der Klägerin nach deren glaubhafter Versicherung unbekannt sei. Der Gesetzgeber sei aber bei der Unterscheidung zwischen Halb- und Vollwaisen bei der Höhe der zu bewilligenden Rente davon ausgegangen, daß bei Halbwaisen noch ein Unterhaltsanspruch gegen den überlebenden Elternteil bestehe, bei Vollwaisen aber niemand mehr für Unterhalts Zahlungen an das Kind aufzukommen habe. Ein solcher Fall läge auch dann vor, wenn die Mutter eines nichtehelichen Kindes verstorben sei und das Kind – auf dessen Erkenntnisstand es ankomme – vom Erzeuger nichts wisse. Es sei unerheblich, ob die Tante der Klägerin als ehemaliger Vormu...

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