Entscheidungsstichwort (Thema)

Witwenbeihilfe. Rechtsvermutung. Berufsschadensausgleich für fünf Jahre. vorgezogenes Altersruhegeld. Schwerbeschädigter war zugleich schädigungsunabhängig schwerbehindert

 

Orientierungssatz

1. Der Vermutungstatbestand "Anspruch auf BSchA" ist nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil der Beschädigte zu Lebzeiten weder einen solchen Antrag gestellt hatte, noch darüber - bewilligend oder ablehnend - entschieden worden ist. Aus der Formulierung "Anspruch" in § 48 Abs 1 S 6 BVG id Fassung vom 23.3.1990 ist zu folgern, daß auch ohne eine positive Entscheidung über einen Antrag auf Bewilligung des BSchA geprüft werden kann, jedenfalls dann, wenn sich die Unrichtigkeit einer früheren Ablehnung der Leistung aufdrängt (vgl Urteil des BSG vom 27.1.1989 - 9a RV 38/85 = SozR 3100 § 48 Nr 15, BSG vom 27.1.1987 - 9a RV 6/86 = SozR 3100 § 48 Nr 16 = Breith 1987, 958).

2. Zur Überzeugung des Senats ist grundsätzlich - und auch als "offenkundig" - davon auszugehen, daß ein Schwerbeschädigter in aller Regel (auch wenn er zugleich wegen anderer schwerwiegender Leiden als Schwerbehinderter anzuerkennen ist und anerkannt wurde), wenn er bereits mit Vollendung des 60. Lebensjahres Rente beantragt, schädigungsbedingt (im Sinne der wesentlichen Mitursache) vorzeitig aus dem Erwerbsleben ausscheidet und dadurch auch - in aller Regel - einen ausgleichswürdigen und ausgleichspflichtigen Einkommensverlust erleidet. "Der vorgezogene Ruhestand für Schwerbeschädigte indiziert ein schädigungsbedingtes Ausscheiden" (vgl BSG vom 12.2.1990 - 9a/9 RV 20/89 = SozR 3-3100 § 30 Nr 2, BSG vom 20.5.1992 - 9a RV 24/91 = SozR 3-3642 § 8 Nr 3 = Breith 1993, 131).

3. Etwas anderes gilt nur, wenn der Schwerbeschädigte auch ohne seine schädigungsbedingte Schwerbehinderung sozial gesichert - zB durch einen Anspruch auf Altersrente wegen Arbeitslosigkeit - vorzeitig aus dem Erwerbsleben ausscheiden könnte und/oder ausgeschieden ist (vgl BSG vom 10.5.1994 - 9 RV 29/93 = SozR 3-3100 § 30 Nr 9 = Breith 1995, 357, LSG Darmstadt vom 4.8.1998 - L 4 V 378/98 = E-LSG V-021, LSG Darmstadt vom 26.10.1995 - L 5 V 519/88).

4. Soweit aber ein schädigungsbedingtes Ausscheiden "indiziert" ist, erleidet der Beschädigte auch einen schädigungsbedingten Einkommensverlust. Sein BSchA ist dann nach dem ungekürzten Durchschnittseinkommen der vorausgegangenen Berufstätigkeit (Vergleichseinkommen) zu bemessen (vgl BSG vom 4.7.1989 - 9 RV 16/88 = SozR 3-3100 § 30 Nr 78 = Breith 1990, 588, BSG vom 12.12.1990 - 9a/9 RV 20/89 = SozR 3-3100 § 30 Nr 2 = Breith 1991, 673) und dies bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze von 65 Jahren (hier: für mindestens fünf Jahre).

 

Verfahrensgang

SG Frankfurt am Main (Urteil vom 20.09.1995; Aktenzeichen S 24/V 3180/91)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 20. September 1995 und der Bescheid des Beklagten vom 22. März 1991 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. November 1991 aufgehoben. Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Witwenbeihilfe nach den gesetzlichen Bestimmungen ab dem 1. Januar 1991 zu gewähren.

II. Der Beklagte hat der Klägerin die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen beider Instanzen zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer Witwenbeihilfe nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).

Die 1926 geborene Klägerin ist die Witwe des 1924 geborenen und am 8. Dezember 1990 verstorbenen Beschädigten A B. Dieser erlitt als Soldat der ehemaligen Deutschen Wehrmacht 1943 und 1944 Granatsplitterverletzungen, deren Folgen erstmals durch Bescheid vom 30. Mai 1951 als Schädigungsfolgen mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von weniger als 25 v.H. anerkannt wurden. Wegen mehrmaliger Fisteleiterungen im Verletzungsbereich wurde von dem Beklagten eine wesentliche Verschlimmerung anerkannt und mit Bescheid vom 17. Mai 1961 der Bescheid vom 30. Mai 1951 insoweit abgeändert sowie als Schädigungsfolgen mit einer MdE von 30 v.H. "eine ausgedehnte Narbe und kleinere Narben mit Facienmuskeldefekten im Lendenbereich links, leichte Bewegungseinschränkung der Lendenwirbelsäule durch Narbenzug. Defekt in der 12. Rippe links und geringe Deformierung der 11. Rippe links sowie zwei kleine Splitter oberhalb der 11. Rippe links. Mäßige Zwerchfellverwachsungen links" feststellte. Weiter wurde in dem Bescheid ausgeführt, daß der Beschädigte in seinem Beruf nicht mehr betroffen sei, als durch die MdE von 30 v.H. zum Ausdruck komme. In der Zeit nach Mai 1961 wurden wegen wiederholter Abszeßbildungen und schwerer Entzündungen mehrere Operationen erforderlich. Im Juli/August 1962 erlitt der Beschädigte einen Vorderwandspitzeninfarkt, dessen Verursachung durch Schädigungsleiden der Beklagte anerkannte. Durch Neufeststellungsbescheid vom 21. August 1963 wurden als Schädigungsfolgen demzufolge mit einer MdE von 50 v.H. anerkannt: "1. Ausgedehnte Narbe am linken Lendenbereich mit größe...

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