Leitsatz (amtlich)

1. Zur Kündigung wegen eines Betriebsübergangs.

2. Ein Widerspruch gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses aus Anlaß einer Betriebsübernahme liegt nicht bereits dann vor, wenn ein Arbeitnehmer lediglich ein ihm nachteiliges Änderungsangebot des neuen Arbeitgeber ablehnt.

3. Zum Umfang der Fürsorgepflicht des alten Arbeitgeber gegenüber den von der Betriebsübernahme betroffenen Arbeitnehmer.

4. Erklärt sich der Betriebserwerber nur bereit, die Arbeitnehmer des übernommenen Betriebs zu neuen, verschlechterten Arbeitsbedingungen weiter zu beschäftigen, so gerät er durch diese Erklärung ohne weiteres in Annahmeverzug (Anschluß an BAG Urteil vom 9.8.1984, 2 AZR 374/83 = AP Nr. 34 zu § 615 BGB).

 

Normenkette

BGB §§ 611, 613a, 615

 

Verfahrensgang

ArbG Offenbach am Main (Urteil vom 19.04.1989; Aktenzeichen 3 Ca 730/87)

 

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Offenbach/M. vom 19.04.1989 abgeändert und wie folgt neu gefaßt:

Es wird festgestellt, daß die ordentliche Kündigung des Beklagten vom 30.10.1987 zum 30.06.1988 unwirksam war.

Im übrigen wird die Klage abgewiesen und die Anschlußberufung der Klägerin zurückgewiesen.

Die weitergehende Berufung des Beklagten wird zurückgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin 2/3 und der Beklagte 1/3 zu tragen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 10.950,– DM festgesetzt.

 

Tatbestand

Die 1929 geborene Klägerin war in dem Betrieb der Firma K. S. und M. GmbH (im folgenden Gemeinschuldnerin) bzw. deren Rechtsvorgänger jahrzehntelang als Angestellte beschäftigt. Sie verdiente zuletzt DM 2.309,– monatlich.

Am 26.08.1987 wurde die Sequestration des Geschäftsbetriebs der Gemeinschuldnerin angeordnet. Der Beklagte wurde zum Sequester ernannt. Am 27.10.1987 wurde über das Vermögen der Gemeinschuldnerin das Konkursverfahren eröffnet. Der Beklagte wurde zum Konkursverwalter ernannt.

Nach dem Bericht des Beklagten gegenüber der ersten Gläubigerversammlung vom 30.11.1987 (Bl. 20 ff, d.A.) wurde der Betrieb der Gemeinschuldnerin von der Firma I. C. GmbH (im folgenden IPA) zum 01.10.1987 übernommen, wobei der Beklagte schon als Sequester maßgeblich an dem Betriebsübergang mitgewirkt hatte. Die Firma I. bot der Klägerin unter dem 25.09.1987 (Bl. 18 f, d.A.) den Abschluß eines neuen Arbeitsvertrages ab 01.10.1987 an. Die Klägerin lehnte dieses Angebot ab. Mit Schreiben vom 30.11.1987 (Bl. 108 d.A.) kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 30.06.1988.

Die Klägerin hat gegen diese Kündigung am 17.11.1987 eine Kündigungsschutzklage eingereicht. Sie hat vorgetragen: Die Kündigung sei wegen des Betriebsübergangs auf die Firma I. unwirksam. Sie habe dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses nicht kategorisch widersprochen, sondern lediglich das Vertragsangebot der Firma I. als unzumutbar abgelehnt. Dieses Angebot sei auf eine Verschlechterung ihrer Arbeitsbedingungen gerichtet gewesen.

Die Klägerin hat beantragt,

  1. festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung des Beklagten vom 30.10.1987 zum 30.06.1988 nicht beendet worden sei, sondern unverändert zwischen den Parteien fortbestehe,
  2. den Beklagten zu verurteilen, ihr Gehalt für die Zeit vom 27.10.1987 bis zum 27.01.1988 auf der Basis eines Bruttomonatsentgeltes in Höhe von DM 2.309,– zuzüglich des Urlaubsgeldes von 5 mal DM 56,80 brutto für 1987, zuzüglich des Weihnachtsgeldes 1987 in Höhe von DM 1.500,– brutto abzurechnen und netto auszuzahlen, abzüglich den vom Arbeitsamt erhaltenen Arbeitslosengeldes von

    DM 223,20 netto für die Zeit vom 27.10–04.11.1987,

    DM 446,40 netto für die Zeit vom 05.11–18.11.1987,

    DM 446,40 netto für die Zeit vom 19.11–02.12.1987,

    DM 446,40 netto für die Zeit vom 03.12–16.12.1987,

    DM 446,40 netto für die Zeit vom 17.12–30.12.1987,

    DM 446,50 netto für die Zeit vom 31.12–13.01.1988,

    DM 447,50 netto für die Zeit vom 14.01–27.01.1988,

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat vorgetragen:

Seine Kündigung sei betriebsbedingt und wirksam gewesen, weil er für die Klägerin keine Beschäftigungsmöglichkeit mehr gehabt habe. Ein Betriebsübergang liege nicht vor. Die Firma T. habe von der Gemeinschuldnerin keine Teile des Betriebsvermögens erworben. Jedenfalls sei das Arbeitsverhältnis der Klägerin nicht auf die Firma I. übergegangen. Die Klägerin habe den Übergang ihres Arbeitsverhältnisses kategorisch widersprochen. Auf ihren Zahlungsanspruch müsse sich die Klägerin jedenfalls anrechnen lassen, was sie bei der Firma I. hätte verdienen können.

Das Arbeitsgericht hat Beweis erhoben und sodann der Klage in vollem Umfang stattgegeben, zur Begründung hat es ausgeführt, die Kündigung des Beklagten sei gemäß § 613 a Abs. 4 BGB unwirksam. Das Arbeitsverhältnis der Klägerin habe dem Übergang nicht wirksam widersprochen. Der Beklagte sei unter dem Gesichtspunkt der positiven Forderungsverletzung zur Fortzahlung der Bezüge an die Klägerin verpflichtet, weil er die Klägerin über die durch den Betriebsübergang eingetretene Rechtslage bewußt irregef...

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