Entscheidungsstichwort (Thema)

Aneignung von leeren Getränkeflaschen. Eingeschränkte Schuldfähigkeit des Arbeitnehmers. Interessenabwägung und Verschulden

 

Leitsatz (redaktionell)

Verhaltensbedingte Gründe können eine außerordentliche Kündigung in der Regel nur dann rechtfertigen, wenn der Gekündigte nicht nur objektiv und rechtswidrig, sondern auch schuldhaft seine Pflichten aus dem Vertrag verletzt hat.

 

Normenkette

BGB § 626; StGB § 21; KSchG §§ 1, 9-10; StGB § 20

 

Verfahrensgang

ArbG Kassel (Entscheidung vom 03.05.2013; Aktenzeichen 5 Ca 48/12)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kassel vom 03. Mai 2013 - 5 Ca 48/12 - wird auf deren Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten in der zweiten Instanz noch über die Wirksamkeit einer arbeitgeberseitigen außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung, einer weiteren außerordentlichen Kündigung sowie um die gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses und um Weiterbeschäftigung.

Die Beklagte ist ein Unternehmen der Automobilindustrie in der Rechtsform der Aktiengesellschaft. Bei ihr ist ein Betriebsrat gebildet.

Der am ... geborene, geschiedene und gegenüber drei Kindern unterhaltsverpflichtete Kläger ist seit 08. Dezember 1986 bei der Beklagten zu einem durchschnittlichen Bruttomonatsgehalt von zuletzt 4.680,00 EUR brutto als Maschinist/Zentralist in deren Werk in A tätig. Vom 30. März 2011 bis zum 18. Mai 2011 befand er sich aufgrund richterlichen Einweisungsbeschlusses nach § 10 HFEG in stationärer psychiatrischer Behandlung, im Anschluss daran in ambulanter Behandlung. Dies stand im Zusammenhang mit - jedenfalls - Gewaltdrohungen des Klägers gegenüber seiner Familie. Im Zeitraum vom 30. Mai 2011 bis zum 12. Juni 2011 erfolgte eine Wiedereingliederung des Klägers bei der Beklagten mit einer täglichen Arbeitszeit von vier Stunden, ab dem 16. Juni 2011 bis zum 26. Juni 2011 mit einer täglichen Arbeitszeit von sechs Stunden. Danach war der Kläger wieder im Rahmen seines vertraglichen Arbeitsverhältnisses in Vollzeit bei der Beklagten tätig.

Mit inzwischen rechtskräftigen Bescheid vom 14. Februar 2012 wurde beim Kläger ein Grad der Behinderung von 40 festgestellt (Bl. 11 d.A.), mit Bescheid vom 26. April 2012 wurde er rückwirkend zum 06. März 2012 einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt.

Die Mitarbeiter der Beklagten verfügen über einen Werksausweis mit integrierter Geldkartenfunktion, der mit Bargeld aufgeladen werden kann. Mit dieser können sie in der von der "B" betriebenen Kantine zahlen und Getränke an von der "B" betriebenen Getränkeautomaten erwerben, die verteilt über das gesamte Werk aufgestellt sind. Bei Rückgabe der Pfandflaschen an diesen Automaten wird das Pfand auf den Werksausweisen gut geschrieben. Fremdfirmenarbeiter und Besucher erhalten statt des Werksausweises eine Gästekarte, die in gleicher Weise eingesetzt werden kann, die aber insofern anonym ist, als sie dem Benutzer nicht unmittelbar zugeordnet werden kann. Der Kläger hat - insoweit unstreitig - über einen längeren Zeitraum im Werk Pfandflaschen gesammelt, an den Automaten zurückgegeben und sich das Pfand dafür auf der von ihm genutzte Gastkarte gutschreiben lassen.

Unter dem 24. Januar 2012 teilte der Werksschutz der Beklagten mit, in den letzten zwei Jahren seien in unregelmäßigen Abständen von Werksangehörigen und Fremdfirmenmitarbeitern Diebstähle von Pfandflaschen aus verschiedenen Bereichen des ganzen Werks gemeldet worden (Bl. 70, 71 d.A.). Außerdem gibt die Werkschutzmitteilung an, am 14. September 2011 habe die Firma C den Diebstahl eines Entsorgungssacks mit ca. 300 PET-Flaschen gemeldet, am 05/06 November 2011 habe die Abteilung "Getriebeplanung" (Sektor 7) das Fehlen von ca. 100 Pfandflaschen gemeldet, von denen allein 50 Flaschen aus dem Vorzimmer des Abteilungsleiters entwendet worden seien und am 09. November 2011 habe die Firma D den Diebstahl von Pfandflaschen aus dem Werkstattbereich der Halle 1 gemeldet. Als Tatzeit der Entwendung kam nach Angaben der Firma D nur die Zeit vom 04. Februar 2011 ca. 18.00 Uhr bis zum 05. Februar 2011 ca. 5.30 Uhr in Frage. Der Kläger hatte Nachtschicht vom 04. Februar 2011 22.00 Uhr bis Samstag, den 05. Februar 2011 ca. 6.00 Uhr. In der Zeit vom 10. September 2011 bis zum 23. September 2011 befand sich der Kläger in Urlaub. Samstag, den 05. November 2011 war er von 6.00 - 14.00 Uhr im Werk, Sonntag, den 06. November 2011 in der Zeit von 6.00 bis 18.00.

Der Sektor 7 ist zutrittsgesichert, ihn können nur befugte Personen über ihren Werksausweis betreten, zu denen der Kläger nicht gehört.

Auf Nachfrage der Beklagten betreffend auffällige Rückgaben von Pfandflaschen teilte die Firma E mit, dass am 06. November 2011 im Zeitraum von 7.30 Uhr morgens bis 17.25 Uhr abends weit über 100 Pfandflaschen auf die Gastkarte 412612 zurückgegeben worden seien, wobei der Nutzer dieser Gastkarte nicht zurückverfolgt werden könne. Daraufhin wurde die Gastkarte 412612 am 1...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge