Entscheidungsstichwort (Thema)

Beweisverwertung. Erschleichen von Leistungen

 

Leitsatz (redaktionell)

Im Fall von unberechtigten Aufbuchungen auf einen Werksausweis mit Wertguthaben kann bei zwei Aufbuchungsvorgängen in unmittelbarer Folge oder ab drei Aufbuchungsvorgängen zu unterschiedlichen Zeiten angenommen werden, dass der Arbeitnehmer die Unrechtmäßigkeit bemerkt hat.

 

Normenkette

BGB § 626; BDSG § 32 Abs. 1 S. 2; BetrVG § 87 Abs. 1 Ziff. 6

 

Verfahrensgang

ArbG Kassel (Urteil vom 09.06.2010; Aktenzeichen 4 Ca 13/10)

 

Nachgehend

BAG (Aktenzeichen 2 AZN 1116/11)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichtes Kassel vom 09.06.2010 – 4 Ca 13/10 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit einer außerordentlichen, fristlosen sowie hilfsweise ordentlichen fristgerechten Kündigung des Arbeitsverhältnisses.

Der am 6. Mai 1965 geborene, verheiratete und zwei Kindern zum Unterhalt verpflichtete Kläger war seit 4. Januar 1990 als Arbeiter bei der Beklagten beschäftigt.

Die Beklagte ist ein großer Automobilhersteller. Sie beschäftigt an ihrem Produktionsstandort in A eine große Anzahl von Arbeitnehmern. Es besteht ein Betriebsrat.

Das Betreten des Werkes ist den Arbeitnehmern nur mittels eines Werksausweises möglich. Neben der Funktion des Zugangs zum Werk enthält dieser Werksausweis eine Bezahlfunktion. Diese funktioniert so, dass der Arbeitnehmer beim Kauf an offenen Ausgabestellen (Betriebsrestaurants), wie auch an Warenautomaten den Werksausweis mit Bezahlfunktion vor die Abbuchungsfläche hält. Der Automat bucht dann den Warenpreis von dem Werksausweis ab und gibt die ausgewählte und bezahlte Ware frei. Gleichzeitig kann man an einem Displayfeld den durchgeführten Bezahlvorgang optisch nachverfolgen. Auf dem Display erscheint der ursprüngliche Wert der Bezahlfunktion, darunter der Warenwert und nach entsprechendem Abbuchungsvorgang der neue – geringere – Chipkartenwert. Vor dem ersten Kaufvorgang muss der Werksausweis mit Geld „aufgeladen” werden. Dies erfolgt mit Geldscheinen am Aufladeautomat. Diese eingezahlten Beträge werden auf ein Sammelkonto der Beklagten gebucht und dem Chip auf dem Werksausweis des Arbeitnehmers gutgeschrieben. Der Arbeitnehmer kann nun über das Guthaben auf seinem Werksausweis an Zigarettenautomaten, Getränkeautomaten, im Betriebsrestaurant etc. verfügen. Die so entstandenen Umsätze werden dann von dem Sammelkonto der Beklagten durch die Beklagte bezahlt, entweder an den Zigarettenautomatenauffüller, den Betreiber der Betriebsgastronomie oder an andere Automatenaufsteller. Die pro Buchung anfallenden Datensätze sind über die Kartennummer pseudonymisiert. Die Speicherung erfolgt zu Abrechnungszwecken mit den Automatenaufstellern und Lieferanten.

An zwei Zigarettenautomaten, die von der B GmbH & Co. KG auf dem Betriebsgelände der Beklagten, und zwar im Originalteile-Center 3, sowie in der Halle 2 aufgestellt waren, kam es mindestens seit September 2008 zu Fehlfunktionen in Form von Aufbuchungen. An allen bei der Beklagten aufgestellten Zigarettenautomaten wird dann, wenn ein Schacht für eine bestimmte Zigarettenmarke leer ist, der zuvor vom Werksausweis abgebuchte Kaufpreis – also bei einer Zigarettenpackung 4,00 EUR, später 5,00 EUR – wieder gutgeschrieben. Bei den beiden Zigarettenautomaten mit Fehlfunktionen wurde jedoch bei der Rückbuchung des Kaufpreises der zuvor abgebuchte Kaufpreis in dreifacher Höhe wieder gutgeschrieben und die Karte entsprechend aufgewertet, so dass im Ergebnis nach einem solchen Vorgang die Bezahlfunktion des Werksausweise mit einem Mehrwert von 8,00 EUR bzw. 10,00 EUR versehen wurde.

Am 14. Januar 2010 meldete der Leiter der Gastronomie dem Ermittlungsdienst der Beklagten, dass es an einem Zigarettenautomaten im Originalteile-Center 3 (abgekürzt OTC 3) zu einem Fehler gekommen sei, der dazu geführt habe, dass der Automat Geld auf den Werksausweis auflädt, wenn ein leerer Schacht angewählt wurde. Am 22. Januar 2010 meldete der Leiter der Gastronomie, dass dieser Defekt an einem weiteren Zigarettenautomaten, nämlich dem Automaten in der Halle 2, Hallengeschoss, Feld D24, aufgetreten sei. Dieser Automat war allerdings am 17. September 2009 aufgrund eines Defekts auf Veranlassung des Teamsprechers Kostenstelle 4266 (Herrn C) von der B ausgetauscht worden, ohne dass die Gastronomie der Beklagten darüber in Kenntnis gesetzt wurde. Die Beklagte ermittelte daraufhin, dass an beiden Automaten insgesamt 342 Karten (Werksausweise und Gastkarten) entsprechende Aufbuchungsvorgänge (d.h. einen Guthabenzuwachs) ausgewiesen haben und es sich insgesamt um einen Betrag von ca. 32.000,00 EUR handelte. Die Werkssicherheit und die Personalabteilung der Beklagten beantragten daraufhin bei der Konzernrevision und der Abteilung Datenschutz der Beklagten eine Aufhebung der Pseudonymität der erhobenen Daten.

Die Saldenverfolgung der Kartennummer 11750818, die der Kläger erhalten hat, er...

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