Entscheidungsstichwort (Thema)

Voraussetzungen der Bildung eines Unternehmenseinheitlichen Betriebsrats

 

Leitsatz (amtlich)

1. Nach § 3 Absatz 3 BetrVG können die Arbeitnehmer mit Stimmenmehrheit die Wahl eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats beschließen, wenn im Fall des Absatzes 1 Nr. 1a keine tarifliche Regelung besteht und in dem Unternehmen kein Betriebsrat gebildet ist.

2. Die Wirksamkeit der Abstimmung ist nicht an die Voraussetzung geknüpft, dass die Bildung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats die Bildung von Betriebsräten erleichtert oder einer sachgerechten Wahrnehmung der Interessen dient.

3. Die Bildung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats nach § 3 Absatz 3 BetrVG hat grundsätzliche dauerhafte Wirkung.

4. Die Dauerwirkung gilt allerdings nur solange sich an den betrieblichen Strukturen nichts ändert.

5. Eine nach § 3 Absatz 3 BetrVG relevante Strukturänderung liegt im Wegfall der Identität des Betriebs.

6. Die Identität der betrieblichen Einheit wird maßgeblich durch deren Leitung geprägt.

7. Weder das erhebliche Anwachsen der Beschäftigtenzahl, noch eine Abspaltung oder die Eingliederung von Betriebsteilen in die bestehende Organisation führen zum Verlust der Identität des Betriebs.

 

Normenkette

BetrVG § 18 Abs. 2, § 3 Abs. 3

 

Verfahrensgang

ArbG Wiesbaden (Entscheidung vom 14.11.2018; Aktenzeichen 3 BV 4/18)

 

Nachgehend

BAG (Beschluss vom 24.03.2021; Aktenzeichen 7 ABR 16/20)

 

Tenor

Die Beschwerde der Antragstellerin zu 1 gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 14. November 2018 – 3 BV 4/18 – wird als unzulässig verworfen.

Die Beschwerde des Beteiligten zu 18 und die Anschlussbeschwerde des Beteiligten zu 19 gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 14. November 2018 – 3 BV 4/18 – werden zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird für die Beteiligten zu 18 und 19 zugelassen. Dies gilt nicht für den Antrag zu 2 aus dem Schriftsatz des Vertreters des Beteiligten zu 19 vom 4. Oktober 2019; insoweit wird die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten im Beschwerdeverfahren nur noch über die Betriebsratsstruktur nach § 18 Abs. 2 BetrVG.

Der Arbeitgeber (Beteiligte zu 15) erbringt Ingenieurdienstleistungen im Wesentlichen für die Automobilindustrie an mehr als 30 Standorten in der Bundesrepublik Deutschland und beschäftigt insgesamt etwa 4600 Arbeitnehmer.

Antragsteller ist eine Gewerkschaft. Die erstinstanzlichen Beteiligten zu 2-13 sind am Verfahren nicht mehr beteiligt; siehe Beschluss vom 19. September 2019 (Bl. 831 der Akte). Beteiligter zu 14 ist der für das Unternehmen des Arbeitgebers (Beteiligte zu 15) gewählte unternehmenseinheitliche Betriebsrat. Beteiligter zu 16 ist der für den Standort des Arbeitgebers in A gewählte Betriebsrat. Beteiligter zu 17 ist der für den Standort des Arbeitgebers in B gewählte Betriebsrat. Beteiligter zu 18 ist der für den Standort des Arbeitgebers in C gewählte Betriebsrat. Beteiligter zu 19 ist der für den Standort D/E gewählte Betriebsrat. Beteiligter zu 20 ist ein Gesamtbetriebsrat.

Am 26. April 2002 fand im Unternehmen des Arbeitgebers, für das keine tarifliche Regelung im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a BetrVG bestand und in dem bis dahin kein Betriebsrat gebildet war, eine Abstimmung der am Hauptsitz des Arbeitgebers in F sowie in allen Niederlassungen beschäftigten Arbeitnehmern über die Errichtung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats statt. Von den damals im Unternehmen beschäftigten 2472 Arbeitnehmern nahmen 1694 an der Abstimmung teil. 30 Stimmen waren ungültig. 1580 Arbeitnehmer stimmten mit Ja, 84 mit Nein (wegen des Abstimmungsergebnisses wird auf Bl. 146 der Akte Bezug genommen). Auf dieser Grundlage erfolgte sodann die Wahl eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats nach § 3 Abs. 3 BetrVG. Über diese Wahl liegen keine Unterlagen mehr vor. Die Wahl wurden nicht angefochten. Dieser unternehmenseinheitliche Betriebsrat ist seither im Amt.

Anfang 2012 erfolgte die Übertragung des Teilbereichs Production Engineering (Anlagenbau) auf die neu gegründete, rechtlich selbstständige G. Zu diesem Zeitpunkt wechselten alle Mitarbeiter dieses Teilbereichs zur G. Im Zusammenhang damit wurde die Betriebsvereinbarung Nr. 33 a (Bl. 56-59 der Akte) geschlossen.

Mit Bekanntmachung im Handelsregister vom 22. Juli 2014 wurde die (vormalige) H auf das Unternehmen des Arbeitgebers (Beteiligte zu 15) mit allen Rechten und Pflichten unter Auflösung ohne Abwicklung gemäß §§ 2 ff., 4 ff., 60 ff. und 78 Umwandlungsgesetz verschmolzen. Infolge der Verschmelzung wurde unter dem 16. Juni 2014 ein Rahmeninteressenausgleich geschlossen (Bl. 147 ff. der Akte). Bei der vormaligen H war für einen Teil der Beschäftigten in C in der xxxx1 (linker Türeingang) ein Betriebsrat gewählt. An den weiteren Standorten der H war kein Betriebsrat gewählt.

Am 3. Juni 2019 wurde die (vormalige) I auf das Unternehmen des Arbeitgebers verschmolzen. Hierdurch kamen 15 weitere Standorte, unter anderem in D und E hinzu; insoweit wird ...

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