Rz. 1

Der Zweck der Regelung schützt in Abs. 1 die Entscheidungsfreiheit des Pflichtteilsberechtigten und entfällt mit dessen Tod. In der Sache wertet die Vorschrift regelmäßig innerfamiliäre Bindungen höher als die Interessen außerfamiliärer Gläubiger. Sie beabsichtigt indessen keine Privilegierung des Erben des Pflichtteilsberechtigten zulasten dessen Abkömmlinge, die der versterbende Pflichtteilsberechtigte bei seiner Testierung übergeht und die ihrerseits insoweit pflichtteilsberechtigt sind. Dies gilt insbesondere, als die Nachlassteilhabe der Abkömmlinge Ausdruck einer Familiensolidarität ist, die in grundsätzlich unauflösbarer Weise zwischen dem Erblasser und seinen Abkömmlingen besteht und das Pflichtteilsrecht die Funktion hat, die Fortsetzung des ideellen und wirtschaftlichen Zusammenhangs von Vermögen und Familie über den Tod des Vermögensinhabers hinaus zu ermöglichen (OLG Brandenburg, ErbR 2011, 248 = MDR 2011, 985 = FamRZ 2011, 1681; BVerfG, BVerfGE 112, 332 = NJW 2005, 1561 = FamRZ 2005, 872 = MDR 2005, 1052 = JurBüro 2005, 612). Das Anliegen der Norm geht somit dahin, mit Rücksicht auf die familiäre Verbundenheit von Erblasser und Pflichtteilsberechtigtem allein diesem die Entscheidung zu überlassen, ob der Pflichtteilsanspruch (vgl. § 2303 BGB) gegen den Erben durchgesetzt werden soll (BGH, Vollstreckung effektiv 2009, 94 = FamRZ 2009, 869 = MDR 2009, 648 = Rpfleger 2009, 393 = BGHReport 2009, 701 = NJW-RR 2009, 997 = JurBüro 2009, 377 = KKZ 2010, 93 = DGVZ 2011, 29 = ZErb 2009, 162 FoVo 2009, 114 = NotBZ 2009, 219 = FamRB 2009, 244 = ErbStB 2009, 342; BGH, NJW 1993, 2876 = ZIP 1993, 1662 = DB 1993, 2586 = Rpfleger 1994, 73 = MDR 1994, 203 = KTS 1993, 667 = KKZ 1994, 228; BGH, NJW 2003, 1858 = Rpfleger 2003, 372 = Vollstreckung effektiv 2007, 88; LG Münster, NZI 2009, 657). Dies gilt auch beim Sozialhilfeträger nach Überleitung des Pflichtteilsanspruchs. Der Sozialhilfeträger ist nicht berechtigt, an Stelle des Pflichtteilsberechtigten bzw. gegen dessen Willen über die Geltendmachung des Pflichtteils zu entscheiden, wenn mit der Geltendmachung aufgrund einer Pflichtteilsstrafklausel in einem gemeinschaftlichen Behindertentestament der Eltern des Berechtigten der Verlust eines späteren testamentarischen Erbteils verbunden ist. Pfändet ein Unterhaltsgläubiger, gelten für diesen die gleichen Voraussetzungen (OLGR Celle 2004, 414). Dasselbe gilt im Fall der Geltendmachung der Zugewinnausgleichsforderung (§ 1378 BGB) sowie der Schenkungsrückforderung des verarmten Schenkers (§ 528 Abs. 1 BGB; BGH, NJW 2001, 2084 = WM 2001, 1388 = BGHReport 2001, 517 = ZIP 2001, 1546 = FamRZ 2001, 1137 = MDR 2001, 1342; vgl. Abs. 2).

 

Rz. 2

Gläubiger sollen auf diese Weise die durch den Schuldner zu treffende Entscheidung nicht an sich ziehen können. Die Regelung hat allerdings nicht zum Ziel, den Gläubiger des Berechtigten die Ansprüche zu entziehen. Es ist vielmehr geboten, das angeordnete Pfändungsverbot in einem an dem Normzweck ausgerichteten, eingeschränkten Sinn zu verstehen (BGH, NJW 1993, 2876 = ZIP 1993, 1662 = DB 1993, 2586 = Rpfleger 1994, 73 = MDR 1994, 203 = KTS 1993, 667 = KKZ 1994, 228). Der Schutzzweck der Vorschrift verbietet lediglich eine Pfändung, die ein umfassendes Pfandrecht an dem Anspruch begründet, durch das die Entscheidungsfreiheit des Berechtigten ausgeschaltet wird. Einer Pfändung, die diese Entscheidungsfreiheit wahrt, indem sie ein Pfandrecht nur für den Fall begründet, dass die in der Vorschrift vorgeschriebenen Voraussetzungen für einen umfassenden Zugriff erfüllt werden, steht dieser Zweck nicht entgegen. Der Schuldner kann nach wie vor allein entscheiden, ob der Anspruch durchgesetzt werden soll. Im Übrigen sind ihm in aller Regel seine Schulden auch ohne die Pfändung bekannt und rechnet er damit, dass seine Gläubiger nach Eintritt der Voraussetzungen der Norm in jedem Fall auf den Anspruch zugreifen können.

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