1 Grundsatz – Zweck

 

Rz. 1

Die Erhebung der Klage nach den §§ 767, 768, 771 bis 774, 785, 786, 805 ZPO hindert nicht den Fortgang der Zwangsvollstreckung und führt auch nicht zu einer Einstellung derselben von Amts wegen. Erst ein zumindest für vorläufig vollstreckbar erklärtes Urteil kann zum Erfolg führen (§ 775 Nr. 1, § 776 ZPO). Ist andererseits die Zwangsvollstreckung beendet, ehe über die Klage entschieden wurde, wird die Klage – mangels Rechtsschutzinteresses – unzulässig. Hier setzt die Vorschrift des § 769 ZPO ein und ermöglicht dem Gericht, bezüglich der Zwangsvollstreckung vorläufige Anordnungen zu treffen (§ 769 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

 

Rz. 2

Entsprechend anwendbar ist die Vorschrift bei der Abänderungsklage nach §§ 323, 323a BGB (seit 1.9.2009 in Absatz 4 geregelt; OLG Köln, FamRZ 1987, 963). Im Anfechtungsprozess nach § 143 InsO, § 11 AnfG, sofern die Klage sich gegen eine Vollstreckungsmaßnahme richtet (vgl. BeckOK/ZPO-Preuß, § 768 Rn. 3). Bei einer auf § 826 BGB gestützten Klage gegen einen rechtskräftigen Titel sind die §§ 707, 769 ZPO weder unmittelbar noch analog anwendbar. Der Titelschuldner kann vorläufigen Rechtsschutz ausschließlich durch eine gegen die Verwirklichung des Titels gerichtete einstweilige Verfügung erlangen (OLG Brandenburg, Urteil v. 13.1.2021, 4 U 103/18, juris; LG Duisburg, Urteil v. 7.5.2021, 10 O 179/16; OLG Stuttgart, InVo 1997, 335 = NJW-RR 1998, 70; OLG Frankfurt/Main, NJW-RR 1992, 511; streitig; wie das OLG Frankfurt/Main auch AG Bad-Schwalbach, NJW-RR 1991, 1405; OLG Hamm, MDR 1987, 505; a. A. Brox/Walker, Rn. 1359; OLG Zweibrücken, NJW 1991, 3041 = MDR 1992, 76; OLG Karlsruhe, FamRZ 1986, 1141). Vor Rechtshängigkeit der gegen eine einstweilige Anordnung über Ehegattenunterhalt gerichteten negativen Feststellungsklage kann ein Einstellungsbeschluss nach § 769 ZPO nur dann ergehen, wenn die Voraussetzungen für die Zustellung der Klage gegeben sind (HansOLG Hamburg, NJW-RR 1990, 394 = FamRZ 1990, 431). Auch die Frage, ob zumindest bei der leugnenden (negativen) Feststellungsklage die Anordnung nach § 769 ZPO entsprechend möglich ist, ist streitig. Bejahend neben HansOLG Hamburg auch OLG Hamm, FamRZ 1981, 694 und OLG Stuttgart, FamRZ 1981, 694 m. w. N.; a. A. OLG Frankfurt/Main, FamRZ 1989, 88). Schließlich kommt eine entsprechende Anwendung des § 769 ZPO auch nicht im Rahmen einer Vaterschaftsanfechtung im Hinblick auf einen bestandskräftigen Unterhaltstitel in Betracht (OLG Saarbrücken, DAVorm 1985, 155; HansOLG Hamburg, MDR 1975, 234). Auch im Verfahren der einstweiligen Verfügung ist § 769 ZPO, wegen der Spezialregelung in § 924 ZPO, ausgeschlossen (AG Hannover, JurBüro 2007, 99).

2 Voraussetzungen – Verfahren

 

Rz. 3

Die Entscheidung ergeht auf Antrag des Vollstreckungsschuldners. Dieser kann (sollte) zusammen mit der Klage gestellt werden (KG, FamRZ 1988, 313; vgl. z. B. Muster zu § 767 ZPO Rn. 72 und § 768 Rn. 13). Der Antrag darf durch das Gericht grundsätzlich erst mit Zustellung der Klage beschieden werden (a. A. bereits vor Zustellung: HansOLG Hamburg, NJW-RR 1990, 394; OLG Schleswig, FamRZ 1990, 303). Reicht der Vollstreckungsschuldner allerdings zugleich mit dem Entwurf einer Klage ein Gesuch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ein, kann über den Antrag schon im Prozesskostenhilfeverfahren, also vor Zustellung der Klageschrift, entschieden werden (h. M. MünchKomm/ZPO- K. Schmidt/Brinkmann, § 769 Rn. 11; Schuschke/Walker, § 769 Rn. 2; Brox/Walker, Rn. 1359; a. A. OLG Naumburg, InVo 2001, 26 = FamRZ 2001, 839; OLG Karlsruhe, FamRZ 1984, 186). Für den Antrag besteht Anwaltszwang, wenn das angerufene Gericht ein Landgericht, ein Gericht des höheren Rechtszugs oder ein Familiengericht ist (§ 78 ZPO).

 

Rz. 4

Zuständig ist im Regelfall das Prozessgericht, das sich auch mit der Klage (nach den o. a. Bestimmungen) zu befassen hat oder bereits mit ihr befasst ist (Abs. 1 Satz 1; LAG Düsseldorf JurBüro 2018, 47); so ist das Bundesarbeitsgericht zuständiges Prozessgericht, wenn bei diesem auch die Vollstreckungsgegenklage anhängig ist (BAG, Beschluss v. 5.6.2018, 10 AZR 155/18 (A) – Juris). Bei dieser Zuständigkeit des mit der Hauptsache befassten Gerichts verbleibt es, auch wenn die Sache wegen einer sofortigen Beschwerde im Verfahrenkostenhilfeverfahren in die Beschwerdeinstanz gelangt ist (OLG Hamm, FamRZ 2011, 1170). Solange z. B. die Vollstreckungsabwehrklage noch nicht erhoben ist, ist der Antrag unzulässig, weshalb es bis zur Anhängigkeit der Vollstreckungsabwehrklage bzw. einem entsprechenden Gesuch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe kein zuständiges Gericht gibt (LAG Köln, Beschluss v. 21.8.2011, 2 Ta 230/11; OLGR Frankfurt 2008, 612). Das Prozessgericht kann die einstweilige Einstellung bereits vor Rechtshängigkeit anordnen, wenn die Klageschrift (nicht lediglich ein Gesuch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe) eingereicht worden ist und die Klage nur noch zugestellt werden muss (OLG Frankfurt, a. a. O.; OLG Naumburg, FamRZ 2001, 839). Auch das Berufungs- oder Revisionsgericht kann die Anordnung erlassen, ...

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