1. Grundsatz

Nähere Vorgaben für das Gericht finden sich in § 159 Abs. 4 FamFG, im Übrigen besteht Gestaltungsfreiheit.

Die persönliche Anhörung setzt voraus, dass das Gericht das Kind akustisch und visuell wahrnimmt, so dass eine telefonische Anhörung diese Vorgaben grundsätzlich nicht erfüllt.[11]

Allerdings stellt nicht jeder Verstoß gegen einfaches Recht auch eine Verletzung des Verfassungsrechts dar. Aus dessen Sicht kommt es bei der Beurteilung des Eingriffs in das Elternrecht darauf an, ob das Familiengericht durch die jeweilige Sachverhaltsermittlung eine zuverlässige Tatsachengrundlage für eine am Wohl des Kindes orientierte Entscheidung gewinnen konnte, z.B. als Erkenntnisquellen Aussagen der Schule, der Kindergärtnerinnen und -gärtner, Äußerungen des Kindes gegenüber dem Verfahrensbeistand etc., zur Verfügung hatte.[12]

Das Gericht ist nicht verpflichtet, den Anhörungstermin den Beteiligten mitzuteilen.[13] Dies bietet sich insbesondere an, wenn das Zusammentreffen beider Eltern vor dem Sitzungszimmer (z.B. wegen eskalativer Trennung oder häuslicher Gewalt) vermieden werden soll oder wenn das Kind wegen Gefährdung in Obhut genommen wurde, das Kind also nicht ohne fachliche Vorbereitung auf die Eltern treffen sollte, um Beeinflussung oder "Dramen" vor oder nach der Anhörung zu verhindern.

Die Eltern haben im Ergebnis kein Anwesenheitsrecht.[14] Aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG resultieren keine über das Recht auf rechtliches Gehör nach Art, 103 Abs. 1 GG hinausgehenden Beteiligungsrechte der Eltern. Es muss also auch nicht den nicht im Vernehmungszimmer anwesenden Eltern gestattet werden, die Anhörung im Wege der Videoübertragung zu verfolgen. Eine solche Gestaltung wäre im Regelfall nicht mit § 163a FamFG vereinbar; sie lief dem Schutzzweck der Norm zuwider und wäre auch der mit der Kindesanhörung bezweckten Sachverhaltsaufklärung nicht dienlich.[15]

Die Rechte eines/einer von dem sorgeberechtigten Elternteil für das Kind beauftragten Rechtsanwalts/Rechtsanwältin können nicht weitergehen als die des sorgeberechtigten Elternteils selbst,[16] gewähren also auch dem/der Verfahrensbevollmächtigten kein Anwesenheitsrecht.

Generell sollten die Rahmenbedingungen kindeswohlgerecht gestaltet werden. Wenn kein gesondertes Anhörungszimmer mit Spielzeug o.ä. im Gericht vorhanden ist, bietet es sich an, eine angenehme Atmosphäre zu schaffen, z.B. eine Spielecke oder eine gemütliche Sitzecke im Richterzimmer, zu Beginn kann man – je nach Alter des Kindes – gemeinsam malen, spielen oder vorlesen, bis das Kind sich etwas entspannt hat.

2. Zeitpunkt der Anhörung

Die Terminierung der Kindesanhörung sollte sehr bedacht ausgewählt werden.

Grundsätzlich halte ich es für notwendig und verfahrensförderlich, das Kind immer vor der Verhandlung mit den Sorgeberechtigten anzuhören (Gründe siehe IV. 2.).

In Fällen der Fremdunterbringung nach Herausnahme oder Inobhutnahme des Kindes kann ein Zusammentreffen/erstes Wiedersehen vor dem Sitzungszimmer zu Eskalationen und starken Emotionen führen. Dies ist dem Kindeswohl stets abträglich. Gleiches gilt in Fällen häuslicher oder innerfamiliärer Gewalt, wenn der Täter oder die Täterin nach längerem Kontaktabbruch wieder erstmalig auf das Kind treffen würde. In diesen Fällen rate ich dringlich zur zeitlich und räumlich getrennten Anhörung. Die Sorgeberechtigten müssen dabei nicht vom Termin der Kindesanhörung verständigt werden. Es reicht aus, wenn sie den Inhalt der Anhörung im Rahmen der Protokollierung erfahren.

Eine Besonderheit gilt für die Verfahren der einstweiligen Anordnung. Hier sollte das Kind immer vor der mündlichen Verhandlung angehört werden. Dies dient der Verfahrensökonomie. Wenn die dann ergehende Entscheidung nach mündlicher Verhandlung nach § 57 S. 2 FamFG beschwerdefähig ist, kann das Verfahren sofort dem Beschwerdegericht vorgelegt werden. Erfolgt die Kindesanhörung erst nach der mündlichen Verhandlung, ist das Ergebnis der Kindesanhörung neuer Tatsachenstoff, so dass eine "Beschwerde" gegen die nach der Anhörung ergangene richterliche Entscheidung als Antrag auf mündliche Verhandlung nach § 54 Abs. 2 FamFG auszulegen ist und erneut verhandelt werden muss. Eine Beschwerde ist dann noch nicht zulässig.

Diesen zweiten Termin kann sich das Familiengericht bei rechtzeitiger Kindesanhörung ersparen, da er eine Belastung für alle Beteiligten darstellt und dem Beschleunigungsgebot des§ 155 Abs. 1 FamFG widerspricht.

3. Besonderheiten aufgrund der Corona-Pandemie

Es stellte nach herrschender Meinung vor der Gesetzesänderung wohl keinen Verfahrensfehler dar, angesichts der Corona-Pandemie von der persönlichen Anhörung eines Kindes, das das sechste Lebensjahr noch nicht vollendet hat, abzusehen.[17] So entschied das OLG Brandenburg.[18]

Dies halte ich angesichts der Bedeutung der Anhörung, der Normierung des § ...

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