FamFG § 78 Abs. 2

1. Wegen des aus dem Sozialstaats- und Rechtsstaatsprinzip folgenden Gebots der Gleichstellung von Bemittelten und Unbemittelten zur Verwirklichung eines effektiven Rechtsschutzes ist für die Frage der Beiordnung eines Rechtsanwalts bei der Beurteilung der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage nicht nur auf objektive Kriterien abzustellen. Vielmehr ist nach wie vor von Bedeutung, inwieweit ein Beteiligter subjektiv in der Lage ist, seine Rechte und Interessen im Verfahren durchzusetzen, insbesondere, ob er in der Lage ist, sich mündlich und schriftlich auszudrücken.

2. Wären bei Beauftragung eines im Bezirk niedergelassenen Anwalts Reisekosten in gleicher Höhe entstanden (vgl. dazu OLG München FamRZ 2007, 489; vgl. auch BGH FamRZ 2004, 1362), ist eine uneingeschränkte Beiordnung des auswärtigen Rechtsanwalts geboten.

(Leitsätze der Redaktion)

OLG Celle, Beschl. v. 11.11.2009 – 17 WF 131/09 (AG Lüneburg)

Gründe:

I. Antragsteller und Antragsgegnerin sind die Eltern der am … 2009 geborenen Tochter Sch., die bei der Kindesmutter lebt. Aus der nichtehelichen Beziehung der Eltern ist weiter der Sohn G. S. hervorgegangen, der beim Kindesvater lebt. Der Antragsteller hat bisher keinerlei Umgang mit der Tochter Sch. gehabt. Dieser wird von der Antragsgegnerin verweigert. Beide Eltern sind drogenabhängig. Die Antragsgegnerin hat von April bis August 2009 eine Haftstrafe wegen Beschaffungskriminalität verbüßt. Seither absolviert sie eine Drogentherapie bei der Therapeutischen Gemeinschaft in L. Die Kindeseltern haben bis zum Haftantritt der Antragsgegnerin zusammen gelebt.

Der Antragsteller begehrt die Gewährung eines Umgangsrechts mit dem gemeinsamen Kind Sch. 14-tägig am Freitag in der Zeit von 15.00 – 17.00 Uhr. Das AG hat ihm dafür mit Beschl. v. 21.10.2009 Verfahrenskostenhilfe bewilligt, die Beiordnung seiner Verfahrensbevollmächtigten, Rechtsanwältin N., jedoch abgelehnt. Der dagegen erhobenen sofortigen Beschwerde hat das AG nicht abgeholfen.

II. Die sofortige Beschwerde ist begründet. Das AG hat zu Unrecht die Beiordnung abgelehnt. Im Einzelnen gilt Folgendes:

1. Nach § 78 Abs. 2 FamFG ist, wenn eine Vertretung durch einen Rechtsanwalt nicht vorgeschrieben ist, dem Beteiligten auf seinen Antrag ein vertretungsbereiter Rechtsanwalt seiner Wahl beizuordnen, wenn wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint. Nach der amtlichen Begründung (BT-Drucks 16/6308 F 214) sollen enge Voraussetzungen für die Anwaltsbeiordnung bestehen und eine Beiordnung nur in Ausnahmefällen erfolgen, wobei nur auf objektive Kriterien abgestellt werden soll. Dem vermag der Senat nicht zu folgen. Vielmehr sind grundsätzlich auch subjektive Kriterien zu berücksichtigen, weil nur so dem aus dem Sozialstaats- und Rechtsstaatsprinzip folgenden Gebot der Gleichstellung von Bemittelten und Unbemittelten (vgl. dazu BVerfG NJW 2004, 1789; NJW-RR 2007, 1713; NJW 2008, 1831) zur Verwirklichung eines effektiven Rechtsschutzes Genüge getan wird. Deshalb ist – unter Beachtung der Grundsätze der Berücksichtigung des Einzelfalles (BGH FamRZ 2009, 1857) – nach wie vor von Bedeutung, inwieweit ein Beteiligter subjektiv in der Lage ist, seine Rechte und Interessen im Verfahren durchzusetzen, insbesondere, ob er in der Lage ist, sich mündlich und schriftlich auszudrücken (so zu Recht Bumiller/Harder, FamFG 9. Aufl, § 78 Rn 3; Keidel/Zimmermann, FamFG, 16. Aufl., § 78 Rn 4; Musielak/Borth, FamFG, § 98 Rn 4; Schulte-Bunert/Weinreich/Keske, FamFG, § 78 Rn 4; Meysen/ Kindermann, FamFG, § 78 Rn 12; Thomas/Putzo/Reicholt, ZPO, 29. Aufl., § 121 Rn 5, a.A. Horndasch/Viefhues/Götsche, FamFG, § 78 Rn 26, 28). Zwar gilt in Umgangsrechtsverfahren der Grundsatz der Amtsermittlung (§ 26 FamFG), das heißt, das Familiengericht hat von Amts wegen die zur Ausfüllung des Begriffs des Kindeswohls bedeutsamen Tatsachen zu ermitteln. Dazu bedarf es jedoch zunächst der Darlegung der Tatsachen, dass die begehrte Regelung des Umgangs dem Wohle des Kindes dient. Nicht zulässig ist deshalb die Ablehnung der Beiordnung durch die pauschale Bezugnahme auf den Amtsermittlungsgrundsatz (BVerfG FamRZ 2002, 531). Deshalb ist – wie schon bisher – in der Regel die Beiordnung eines Anwalts geboten, wenn das Umgangsrecht insgesamt oder zumindest wesentliche Elemente seiner Ausgestaltung im Streit sind (OLG Karlsruhe FamRZ 2005, 2004, Bumiller/Harders, § 78 Rn 4; Musielak/Borth, § 78 Rn 4; Keidel/Zimmermann, § 78 Rn 12; a.A. Horndasch/Viefhues/Götsche, § 78 Rn 34 Stichwort: Umgangsrechtsverfahren). Vorliegend streiten die Kindeseltern, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind, um das Umgangsrecht insgesamt, das die Kindesmutter strikt verweigert. Für die Frage, ob der Umgang im konkreten Fall durch das Alter des Kindes (vgl. dazu OLG Celle FamRZ 1990, 1026; OLG Brandenburg FamRZ 2002, 414; Johannsen/Henrich/Jäger, Eherecht, 4. Aufl., § 1684, Rn 29; Büte, Das Umgangsrecht bei Kindern getrennt lebender oder geschiedener...

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