Der Umgang des Kindes mit den Eltern dient, wie bereits angeführt, nach juristischer Auffassung einer gedeihlichen Entwicklung des Kindes und gibt dem betreffenden Elternteil die Gelegenheit, sich ein auf persönlichen Erfahrungen und Kontakten beruhendes Bild vom Kind zu machen – gleichgültig welchen Alters – und darüber hinaus auch mit dem Kind in telefonischem, brieflichem oder E-Mail-Kontakt zu stehen.[9]

Darüber hinaus dient der Umgang der Beziehungs- und Bindungserhaltung.

Aus psychologischer Sicht beinhalten die unmittelbaren und langfristigen Vorteile von gewollten Umgangskontakten für das Kind

Wunscherfüllung, Beachtung des Willens, Selbstwirksamkeit, Situationskontrolle,
erleichterte Verarbeitung der Trennung und Scheidung der Eltern,
Entlastung der Beziehung zum betreuenden Elternteil,
Entlastung und Beziehungspflege auch zu anderen bedeutsamen Bezugspersonen (§ 1685 BGB: z.B. Großeltern, Geschwister, Lebenspartner),
geschlechtsrollengemäße Persönlichkeitsentwicklung, Sozial- und Selbstkompetenz, Leistungserhaltung (dieses sollten auch gleichgeschlechtliche Partner dem Kind ermöglichen),
Vorsorge für Notfälle.[10]

Für den betreuenden (den Lebensmittelpunkt gebenden) Elternteil führt ein kontinuierlicher Umgangskontakt zu

Entlastung des anderen Elternteils,
Stressreduktion durch ein weniger belastetes Kind für den anderen Elternteil,
mehr Freizeit für den anderen Elternteil,
einem stabilen altersgemäß entwickelten Kind,
einer entspannteren Langzeitbeziehung zum Kind,
Vermeidung von Idealisierung des umgangsberechtigten Elternteils, Spannungen, Schuldgefühlen, Aggressionsspiralen, Erziehungssackgassen, Abhängigkeiten.

Für den umgangsberechtigten Elternteil bedeutet dieses Ergebnis:

Befriedigung emotionaler Bedürfnisse gegenüber dem Kind,
Wahrnehmung und Fortführung von Elternverantwortung,
Information und Teilhabe an der Entwicklung des Kindes.

Diese Vorteile für das Kind und die Eltern gelten auch für das paritätische Wechselmodell, obwohl noch bis vor Kurzem dem umgangsberechtigten Elternteil kein Erziehungsrecht zugebilligt wurde, was nun, nachdem der Bundesgerichtshof[11] entschieden hat, dass die Anordnung des paritätischen Wechselmodells im Rahmen einer Umgangsregelung (nicht Sorgerechtsregelung) erfolgt, nicht mehr aufrechtzuerhalten ist.

Die jahrzehntelang vorherrschende juristische Auffassung, umgangsberechtigte Eltern hätten kein Erziehungsrecht, entspricht im Übrigen schon lange nicht mehr den realen und rechtstatsächlichen Gegebenheiten einer umfangreichen Umgangsregelung an Wochenenden oder in den Ferien, die oft über mehrere Tage oder Wochen andauern.

Das gilt nun erst Recht für die paritätische Wechselregelung, in der eine Erziehung, Betreuung und Versorgung des Kindes geradezu erfolgen muss.

Nun muss ein Miterziehungsrecht dem umgangsberechtigten Elternteil auch außerhalb eines Wechselmodells zugebilligt werden.[12] Alles andere wäre angesichts der in den letzten Jahrzehnten familiengerichtlich erheblich ausgeweiteten Umgangskontakte lebensfremd.

Der Umgangsberechtigte sollte allerdings umgangsfähig sein, indem er ähnlich wie bei der Sorgerechts- und Erziehungsfähigkeit das Kind angemessen betreut und versorgt, sich beziehungstolerant (die Juristen sprechen von bindungstolerant) verhält und sich darüber hinaus gegenüber dem anderen Elternteil kooperationsbereit, kooperationsfähig und absprachebereit zeigt.

Er sollte ferner die Signale (Bedürfnisse) des Kindes erkennen und mit diesen feinfühlig umgehen (diese Signale – insbesondere bei sehr jungen Kindern unter zwei Jahren – wahrnehmen und erkennen, richtig interpretieren und angemessen sowie prompt darauf reagieren).

Er sollte ferner in der Lage sein, das Kind während der Umgangskontakte angemessen zu versorgen und zu betreuen sowie sich dem anderen Elternteil und dem Kind gegenüber beziehungstolerant zu verhalten (die Juristen nennen die Beziehungstoleranz für Psychologen eher irreführend Bindungstoleranz). Darüber hinaus sollte auch der umgangsberechtigte Elternteil kooperationsbereit und kooperationsfähig sein.[13]

[9] Balloff, Kinder vor dem Familiengericht, 3. Aufl. 2018, S. 201.
[10] Dettenborn/Walter, Familienrechtspsychologie, 3. Aufl., S. 247.
[11] BGH, Beschl. v. 1.2.2017 – XII ZB 601/15 = FF 2017, 91; NZFam 2017, 206–211; RPsych 2017, 112–119.
[12] Weinreich/Klein, 2013, § 1684 BGB Rn 7; Balloff, Kinder vor dem Familiengericht, 3. Aufl. 2018, S. 202.
[13] Balloff, Kinder vor dem Familiengericht, 3. Aufl. 2018, S. 202.

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge