Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen. Begriff ‚Entscheidung’ in Erbsachen. Begriff ‚öffentliche Urkunde’ in Erbsachen. Rechtliche Einstufung der Urkunde über die Bestätigung der Erbenstellung. Begriff ‚Gericht’. Fehlende Mitteilung des Mitgliedstaats an die Europäische Kommission über die Notare als nicht gerichtliche Behörden, die gerichtliche Funktionen wie Gerichte ausüben

 

Normenkette

Verordnung (EU) Nr. 650/2012 Art. 3 Abs. 1 Buchst. g, i, Abs. 2

 

Beteiligte

WB

WB

 

Tenor

1. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Juli 2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses ist dahin auszulegen, dass es für die Einstufung der Notare als „Gericht” nicht entscheidend ist, wenn ein Mitgliedstaat nicht gemäß dieser Bestimmung mitgeteilt hat, dass die Notare gerichtliche Funktionen ausüben.

Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 650/2012 ist dahin auszulegen, dass ein Notar, der auf einstimmigen Antrag aller Beteiligten eines notariellen Verfahrens ein Schriftstück wie das im Ausgangsverfahren in Rede stehende errichtet, kein „Gericht” im Sinne dieser Bestimmung ist; folglich ist Art. 3 Abs. 1 Buchst. g dieser Verordnung dahin auszulegen, dass ein solches Schriftstück keine „Entscheidung” im Sinne dieser Bestimmung ist.

2. Art. 3 Abs. 1 Buchst. i der Verordnung Nr. 650/2012 ist dahin auszulegen, dass die Urkunde über die Bestätigung der Erbenstellung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, die vom Notar auf einstimmigen Antrag aller Beteiligten des notariellen Verfahrens errichtet wird, eine „öffentliche Urkunde” im Sinne dieser Bestimmung ist, die zusammen mit dem in Art. 59 Abs. 1 Unterabs. 2 dieser Verordnung genannten Formblatt ausgestellt werden kann, das dem Formblatt in Anhang 2 der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1329/2014 der Kommission vom 9. Dezember 2014 zur Festlegung der Formblätter nach Maßgabe der Verordnung Nr. 650/2012 entspricht.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Sad Okręgowy w Gorzowie Wielkopolskim (Bezirksgericht Gorzów Wielkopolski, Polen) mit Entscheidung vom 10. Oktober 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 24. November 2017, in dem Verfahren auf Betreiben von

WB,

Beteiligte:

Przemysława Bac in ihrer Eigenschaft als Notarin,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.-C. Bonichot, der Richterin C. Toader (Berichterstatterin) sowie der Richter A. Rosas, L. Bay Larsen und M. Safjan,

Generalanwalt: Y. Bot,

Kanzler: M. Aleksejev, Referatsleiter,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 29. November 2018,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • von WB, vertreten durch M. Krzymuski, radca prawny,
  • von Frau Bac in ihrer Eigenschaft als Notarin, vertreten durch M. Margoński, zastępca notarialny,
  • der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna, S. Żyrek und E. Borawska-Kędzierska als Bevollmächtigte,
  • der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und M. Hellmann als Bevollmächtigte,
  • der spanischen Regierung, vertreten durch S. Jiménez García als Bevollmächtigten,
  • der ungarischen Regierung, vertreten durch M. Z. Fehér, G. Koós und M. M. Tátrai als Bevollmächtigte,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Wilderspin und S. L. Kaleda als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 28. Februar 2019

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 3 Abs. 1 Buchst. g und i sowie Abs. 2, Art. 39 Abs. 2, Art. 46 Abs. 3 Buchst. b und Art. 79 der Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Juli 2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses (ABl. 2012, L 201, S. 107) sowie die Auslegung der Anhänge 1 und 2 der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1329/2014 der Kommission vom 9. Dezember 2014 zur Festlegung der Formblätter nach Maßgabe der Verordnung Nr. 650/2012 (ABl. 2014, L 359, S. 30).

Rz. 2

Es ergeht in einem von WB gegen Frau Przemysława Bac in ihrer Eigenschaft als Notarin in Słubice (Polen) angestrengten Verfahren auf Erteilung u. a. einer Ausfertigung einer von dieser Notarin ausgestellten Urkunde über die Bestätigung der Erbenstellung.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Verordnung Nr. 650/2012

Rz. 3

Die Erwägungsgründe 20 bis 22 und 62 der Verordnung Nr. 650/2012 lauten:

„(20) Diese Verordnung sollte den verschiedenen Systemen zur Regelung von Erbsachen Rechnung tragen, die in den Mitgliedstaaten angewandt werden. Für die Zwecke dieser Ver...

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