Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Gerichtliche Zuständigkeit und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen. Zuständigkeit für Klagen aus einer unerlaubten Handlung oder einer Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist. Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs. Schaden, der ausschließlich in einem Vermögensverlust besteht

 

Normenkette

Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 Art. 7 Nr. 2

 

Beteiligte

Vereniging van Effectenbezitters

Vereniging van Effectenbezitters

BP plc

 

Tenor

Art. 7 Nr. 2 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist dahin auszulegen, dass der unmittelbare Eintritt eines reinen Vermögensschadens auf einem Anlagekonto infolge von Anlageentscheidungen, die aufgrund von weltweit problemlos zugänglichen, aber unrichtigen, unvollständigen oder irreführenden Informationen eines internationalen börsennotierten Unternehmens getroffen wurden, es dann nicht erlaubt, in Anknüpfung an die Verwirklichung des Schadenserfolgs die internationale Zuständigkeit eines Gerichts des Mitgliedstaats zu bejahen, in dem die Bank oder die Investmentgesellschaft, bei der das Konto geführt wird, ihren Sitz hat, wenn für das betreffende Unternehmen in diesem Mitgliedstaat keine gesetzlichen Offenlegungspflichten gelten.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Hoge Raad der Nederlanden (Oberster Gerichtshof der Niederlande) mit Entscheidung vom 20. September 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 25. September 2019, in dem Verfahren

Vereniging van Effectenbezitters

gegen

BP plc

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.-C. Bonichot, des Richters L. Bay Larsen, der Richterin C. Toader sowie der Richter M. Safjan (Berichterstatter) und N. Jääskinen,

Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • der Vereniging van Effectenbezitters, vertreten durch J. van der Beek, advocaat,
  • der BP plc, vertreten durch W. H. van Hemel, A. F. J. A. Leijten, O. J. W. Schotel und J. S. Kortmann, advocaten,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch G. Wils, R. Troosters und M. Heller als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 17. Dezember 2020

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 7 Nr. 2 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2012, L 351, S. 1).

Rz. 2

Das Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Vereniging van Effectenbezitters (Vereinigung von Wertpapierinhabern, im Folgenden: VEB) mit Sitz in Den Haag (Niederlande) und der BP plc, einem weltweit tätigen Unternehmen mit Sitz in London (Vereinigtes Königreich), wegen deren Haftung für Schäden, die den Personen entstanden sind, die Stammaktien von BP insbesondere über ein in den Niederlanden geführtes Anlagekonto erworben, gehalten oder verkauft haben.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 3

In den Erwägungsgründen 15 und 16 der Verordnung Nr. 1215/2012 heißt es:

„(15) Die Zuständigkeitsvorschriften sollten in hohem Maße vorhersehbar sein und sich grundsätzlich nach dem Wohnsitz des Beklagten richten. Diese Zuständigkeit sollte stets gegeben sein außer in einigen genau festgelegten Fällen, in denen aufgrund des Streitgegenstands oder der Vertragsfreiheit der Parteien ein anderes Anknüpfungskriterium gerechtfertigt ist. Der Sitz juristischer Personen muss in der Verordnung selbst definiert sein, um die Transparenz der gemeinsamen Vorschriften zu stärken und Kompetenzkonflikte zu vermeiden.

(16) Der Gerichtsstand des Wohnsitzes des Beklagten sollte durch alternative Gerichtsstände ergänzt werden, die entweder aufgrund der engen Verbindung zwischen Gericht und Rechtsstreit oder im Interesse einer geordneten Rechtspflege zuzulassen sind. Das Erfordernis der engen Verbindung soll Rechtssicherheit schaffen und verhindern, dass die Gegenpartei vor einem Gericht eines Mitgliedstaats verklagt werden kann, mit dem sie vernünftigerweise nicht rechnen konnte. Dies ist besonders wichtig bei Rechtsstreitigkeiten, die außervertragliche Schuldverhältnisse infolge der Verletzung der Privatsphäre oder der Persönlichkeitsrechte einschließlich Verleumdung betreffen.”

Rz. 4

Kapitel II („Zuständigkeit”) der Verordnung Nr. 1215/2012 enthält u. a. einen Abschnitt 1 („Allgemeine Bestimmungen”) und einen Abschnitt 2 („Besondere Zuständigkeiten”). Art. 4 Abs. 1 in Abschnitt 1 dieser Verordnung bestimmt:

„Vorbehaltlich der Vorschriften dieser Verordnung sind Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet ei...

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