Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen. Europäisches Nachlasszeugnis. Gültigkeit einer beglaubigten Abschrift des Zeugnisses, die kein Ablaufdatum enthält. Wirkungen des Zeugnisses in Bezug auf Personen, die in ihm genannt sind, aber nicht seine Ausstellung beantragt haben. Für die Beurteilung der Gültigkeit der Kopie zu berücksichtigender Zeitpunkt. Beweiswirkungen der Abschrift

 

Normenkette

Verordnung (EU) Nr. 650/2012 Art. 65 Abs. 1, Art. 69, 70 Abs. 3

 

Beteiligte

Vorarlberger Landes- und Hypotheken-Bank

UE

HC

Vorarlberger Landes- und Hypothekenbank AG

 

Tenor

1. Art. 70 Abs. 3 der Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Juli 2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses ist dahin auszulegen, dass die beglaubigte Abschrift eines Europäischen Nachlasszeugnisses, die mit dem Vermerk „unbefristet” versehen ist, für die Dauer von sechs Monaten ab dem Ausstellungsdatum gültig ist und ihre Wirkungen im Sinne von Art. 69 dieser Verordnung entfaltet, wenn sie bei ihrer erstmaligen Vorlage gültig war.

2. Art. 65 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 69 Abs. 3 der Verordnung Nr. 650/2012 ist dahin auszulegen, dass sich die Wirkungen des Europäischen Nachlasszeugnisses gegenüber allen dort namentlich genannten Personen entfalten, auch wenn sie seine Ausstellung nicht selbst beantragt haben.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Obersten Gerichtshof (Österreich) mit Entscheidung vom 27. Mai 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 7. Juli 2020, in dem Verfahren

UE,

HC

gegen

Vorarlberger Landes- und Hypothekenbank AG,

Beteiligte:

Verlassenschaft des VJ,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten L. Bay Larsen, der Richterin C. Toader (Berichterstatterin) und des Richters N. Jääskinen,

Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • der österreichischen Regierung, vertreten durch J. Schmoll, E. Samoilova und A. Posch als Bevollmächtigte,
  • der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller, M. Hellmann und U. Bartl als Bevollmächtigte,
  • der spanischen Regierung, vertreten durch M. J. Ruiz Sánchez als Bevollmächtigte,
  • der ungarischen Regierung, vertreten durch M. Z. Fehér und K. Szíjjártó als Bevollmächtigte,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Wilderspin und M. Heller als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 29. April 2021

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 63, Art. 65 Abs. 1, Art. 69 und Art. 70 Abs. 3 der Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Juli 2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses (ABl. 2012, L 201, S. 107, und Berichtigungen ABl. 2012, L 344, S. 3, ABl. 2013, L 41, S. 16, ABl. 2013, L 60, S. 140, und ABl. 2014, L 363, S. 186).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen UE und HC, Sohn und Tochter des verstorbenen VJ, der seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt in Spanien hatte, und der Vorarlberger Landes- und Hypothekenbank AG, einer Bank mit Sitz in Österreich, über einen Antrag auf Herausgabe eines Geldbetrags und von Wertpapieren, die diese Bank gerichtlich hinterlegt hatte.

Rechtlicher Rahmen

Rz. 3

In den Erwägungsgründen 7, 67, 71 und 72 der Verordnung Nr. 650/2012 heißt es:

„(7) Die Hindernisse für den freien Verkehr von Personen, denen die Durchsetzung ihrer Rechte im Zusammenhang mit einem Erbfall mit grenzüberschreitendem Bezug derzeit noch Schwierigkeiten bereitet, sollten ausgeräumt werden, um das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts zu erleichtern. In einem europäischen Rechtsraum muss es den Bürgern möglich sein, ihren Nachlass im Voraus zu regeln. Die Rechte der Erben und Vermächtnisnehmer sowie der anderen Personen, die dem Erblasser nahestehen, und der Nachlassgläubiger müssen effektiv gewahrt werden.

(67) Eine zügige, unkomplizierte und effiziente Abwicklung einer Erbsache mit grenzüberschreitendem Bezug innerhalb der Union setzt voraus, dass die Erben, Vermächtnisnehmer, Testamentsvollstrecker oder Nachlassverwalter in der Lage sein sollten, ihren Status und/oder ihre Rechte und Befugnisse in einem anderen Mitgliedstaat, beispielsweise in einem Mitgliedstaat, in dem Nachlassvermögen belegen ist, einfach nachzuweisen. Zu diesem Zweck sollte diese Verordnung die Einführung eines einheitlichen Zeugnisses, des Europäischen Nachlasszeugnisses (im Folgenden ‚das Zeugnis’), v...

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