Ausgleichsanspruch gegen Fluggesellschaft bei Flugvorverlegung

Wird ein Flug um mehr als eine Stunde vorverlegt, dann ist dies gleichzusetzen mit einer Annullierung des Fluges und der Fluggast hat gegenüber dem ausführenden Luftfahrtunternehmen einen Anspruch auf Ausgleichszahlung.

Für Flüge, die mit einer Verspätung von mehr als drei Stunden an ihrem Endziel ankommen, gilt aufgrund der Europäischen Fluggastrechteverordnung (FluggastrechteVO) schon seit vielen  Jahren, dass die betroffenen Fluggäste genauso einen Anspruch auf Ausgleichszahlung haben, wie wenn der Flug annulliert worden wäre. Nun hat sich der EuGH mit der umgekehrten Konstellation befasst, dass ein Flug nicht verspätet ist, sondern um mehr als eine Stunde vorverlegt wurde. Auch für diesen Fall hat der EuGH die Rechte der betroffenen Fluggäste gestärkt.

Mehr als einstündige Verlegung ist erheblich

Nach Ansicht des EuGH ist ein Flug auch dann als annulliert anzusehen, wenn er vom ausführenden Luftfahrtunternehmen um mehr als eine Stunde vorverlegt wird. Dies würde ebenso wie bei einer Verspätung zu schwerwiegenden Unannehmlichkeiten für die Fluggäste führen. Insbesondere könnte bei einer solchen Vorverlegung für den Fluggast die Gefahr bestehen, dass er den Flug verpasst, obwohl er alle erforderlichen Vorkehrungen getroffen und Anstrengungen unternommen hat.

Erheblichkeitsschwelle überschritten: Anspruch auf volle Ausgleichszahlung

Bei einer mehr als einstündigen Vorverlegung geht der EuGH davon aus, dass die Erheblichkeitsschwelle überschritten ist mit der Folge, dass die Fluggesellschaft die volle Ausgleichszahlung zu erbringen hat und sich nicht auf ein Kürzungsrecht berufen kann. Nur bei einer Vorverlegung um eine Stunde oder weniger kann die Fluggesellschaft sich durch das Angebot einer anderweitigen Beförderung gegebenenfalls von der Ausgleichszahlung befreien.

Vom Reiseunternehmen ausgestellter Beleg als Flugschein ausreichend

Bei der Frage, ob die Vorverlegung erheblich ist, kommt es auf die planmäßige Abflugzeit des Fluges an, die jedoch nicht zwingend durch den Flugschein belegt werden muss. Auch ein anderer Beleg, den der Fluggast vom Reiseunternehmen erhalten hat und aus dem die Abflug- und Ankunftszeit des Fluges mit der betreffenden Flugnummer hervorgehen, ist ausreichend.

Bei falschen Angaben gegebenenfalls Regressanspruch der Fluggesellschaft

Ob die betreffende Fluggesellschaft gegenüber dem Reiseunternehmen die ausgewiesene Abflug- und Ankunftszeit tatsächlich bestätigt hat, ist nach Ansicht des EuGH nicht relevant. Dem Fluggast könne nicht zugemutet werden, sich über die Vertragsbeziehungen zwischen Reiseunternehmen und Luftfahrtunternehmen zu informieren. Hat das Luftfahrtunternehmen die Flugzeiten tatsächlich nicht bestätigt, dann kann es gegebenenfalls das Reiseunternehmen in Regress nehmen, das den Beleg mit den falschen Flugzeiten ausgestellt hat.

(EuGH, Urteil v. 21.12.2021, C-146/20; C-188/20; C-196/20; C-270/20; C-263/20; C-395/20).

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Anspruch auf Ausgleichszahlungen besteht nach der „Verordnung des europäischen Parlamentes und des Rates über die gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Falle der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen“ (FluggastrechteVO). Gem. Art. 5 Abs. 1 c  i.V. m. Art. 7 Abs. 1 Satz 1 b FluggastrechteVO auf 400 Euro bei allen innergemeinschaftlichen Flügen über eine Entfernung von 1.500 Kilometer sowie bei allen anderen Flügen über eine Entfernung zwischen 1.500 und 3.500 km.

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Schlagworte zum Thema:  Reiseveranstalter, EuGH