Befindet sich ein Kind für längere Zeit oder auf Dauer in einer anderen Familie (auch Familienpflege), so fallen häufig tatsächliche Alltagsfürsorge der Pflegeeltern und elterliche Sorge auseinander. Bei einem länger andauernden Pflegeverhältnis zwischen Kind und Pflegeeltern entsteht eine gewachsene Bindung, die durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützt wird.

Verlangt nun der Sorgeberechtigte die Rückkehr des Kindes in seinen Haushalt, so ist sowohl dem Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG als auch der Grundrechtsposition des Kindes aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG Rechnung zu tragen. Schließlich ist auch das Grundrecht der Pflegefamilie aus Art. 6 Abs. 1 GG zu berücksichtigen.

Bei den konkreten zu prüfenden Voraussetzungen einer Verbleibensanordnung sind insbesondere das Lebensalter des Kindes und Zeitdauer des Aufenthaltes in der Pflegefamilie zu berücksichtigen, aber auch z. B. ein zu befürchtender ‹Kulturschock› eines kriegsverletzten afghanischen Mädchens, welches seit drei Jahren in der Pflegefamilie lebt.

Allein der Wille eines 15-jährigen Jugendlichen, in der Pflegefamilie zu bleiben, in der er seit vielen Jahren untergebracht war, rechtfertigt es nach Auffassung des OLG Zweibrücken[1] nicht, eine bestehende Verbleibensanordnung aufrecht zu erhalten. Im Verhältnis zu einem Sorgerechts- oder Aufenthaltsbestimmungsrechtsentzug stellt sich eine Verbleibensanordnung als mildere Maßnahme dar und hat somit grundsätzlich Vorrang.

Wenn jedoch bei einer (Rück-)Übertragung der elterlichen Sorge auf einen Elternteil erhebliche Auseinandersetzungen zwischen dem Elternteil und der Pflegefamilie mit negativen Ausstrahlungen auf das Wohl des Kindes zu befürchten wären, muss es beim Sorgerechtsentzug verbleiben. Eine Verbleibensanordnung ist dann nicht ausreichend.

Nach der Rechtsprechung des OLG Frankfurt/M.[2] rechtfertigen neu gewachsene Bindungen des Kindes zu seinen Pflegeeltern den Verbleib in der Pflegefamilie nur , wenn im Einzelfall mit überwiegender Wahrscheinlichkeit die Trennung und Rückkehr zur leiblichen Mutter zu nachhaltigen psychischen oder physischen Schäden des Kindes führen wird.

Grundsätzlich setzt eine Verbleibensanordnung nach § 1632 Abs. 4 BGB voraus, dass durch das Herausgabeverlangen das Wohl des Kindes im Sinne von § 1666 Abs. 1 BGB gefährdet wird.

Entscheidend kommt es darauf an, wie stark die Bindungen des Kindes zur Pflegeperson gewachsen sind. Dies hängt auch mit der Frage zusammen, welches Alter das Kind bei Aufnahme in den Familienverbund der Bezugsperson hatte. Gerade die Trennung eines Kleinkindes von einer Bezugsperson stellt eine erhebliche psychische Belastung für das Kind dar.

Abzustellen ist allerdings nicht ausschließlich auf die Pflegeperson. Die Bezugswelt des Kindes wird auch durch die Beziehung zu Geschwistern oder Spielkameraden bestimmt.

Umgekehrt entspricht es dem Kindeswohl, eine Verfestigung des Pflegeverhältnisses zu vermeiden, sofern dies zu einer Entfremdung zwischen Kind und Herkunftsfamilie führt und damit die Rückführung erschwert. Die Inpflegenahme soll grundsätzlich vorübergehenden Charakter haben und die Rückführung des Kindes zumindest offen lassen.

Die weitere Offenheit hinsichtlich einer möglichen Rückführung des Kindes führt aber nicht dazu, dass eine Verbleibensanordnung regelmäßig zu befristen ist. Umgekehrt dürfte es eher sinnvoll sein, eine unbefristete Verbleibensanordnung zu treffen. In der Regel wird nicht zu bestimmen sein, wann exakt eine Verbleibensanordnung aufzuheben ist, sei es, dass eine Rückführung sinnvoll ist, sei es, dass zum Wohl des Kindes ein Sorgerechtsentzug nach § 1666 Abs. 1 BGB erfolgen muss.

Daher wird grundsätzlich eine unbefristete Verbleibensanordnung geboten sein.

Es gilt in jedem Fall aber im Verhältnis zwischen § 1632 Abs. 4 BGB und § 1666 BGB der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Danach ist die Verbleibensanordnung als milderes Mittel vorrangig. Zusätzlich gilt auch im Rahmen des § 1632 Abs. 4 BGB der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Als milderes Mittel kommt danach eine Besuchsregelung zwischen den Sorgeberechtigten und der Pflegeperson in Betracht, wenn dies dem Wohle des Kindes entspricht.

Es bleibt aber letztlich: Kann die Gefährdung des Kindes auf Dauer nur dadurch abgewendet werden, dass es nicht bei seinen Eltern lebt, ist ein Sorgerechtsentzugsverfahren nach § 1666 durchzuführen.

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